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nbo im TR-Blog, Februar 2006 – Juli 2011

Die Blogeinträge können hier nachgeblättert werden (ein paar Artikel sind auch darunter, weil Heise nicht zwischen Blogeinträgen und Artikeln unterscheidet).

Das alte "Weblog" von bitfaction, August 2002 – März 2006

(gemeinsam mit Jens Uehlecke/jue; ja, 2002 hieß das noch "Weblog", und das lief nicht auf Wordpress – kam erst 2004 raus –, sondern auf SharePoint)

Die Illusion der Wahlfreiheit

Als ich kürzlich auf dem 22. Chaos Communication Congress war, konnte ich eine gewisse Ernüchterung hinsichtlich des Kongressthemas "Private Investigations" spüren. Der Kampf für Datenschutz und Privatsphäre sei wohl verloren, meinten nicht wenige. Wie es scheint, geht eine weitere wichtige Auseinandersetzung verloren: die um die Wahlfreiheit der Verbraucher bei gentechnisch manipulierten Lebensmitteln. Die Greenpeace-Gruppe Bodensee schreibt in ihrer jüngsten Pressemitteilung, in zwei von fünf Futtermittelproben von Landliebe-Milchlieferanten seien Spuren von Gen-Soja nachgewiesen worden. Ausgerechnet Landliebe, das jene altmodisch gestylten Milchprodukte herstellt und das Image eines verantwortungsvollen Lebensmittelproduzenten pflegt. Liegen die Greenpeace-Aktivisten mit ihrer Analyse richtig, wäre dies ein echter Hammer. Denn in einem Fall soll das verwendete Futter zu 100 Prozent aus Gen-Soja bestanden haben. Mag sein, dass Landliebe davon nichts wusste – auf der Webseite des Unternehmens gibt es bislang noch keine Stellungnahme. Es würde auf jeden Fall bedeuten, dass der skeptische Verbraucher auch in Europa nicht mehr sicher sein kann, dass sein Teller gentechnikfrei bleibt, nur weil er auf qualitätsbewusste Hersteller vertraut. Aber vielleicht ist dies nur eine Luxushaltung wohlhabender Westler, die sich bald erledigt hat. Glaubt man Wissenschaftlern wie dem Reisforscher John Sheehy am International Rice Research Institute (IRRI) auf den Philippinen, wird mindestens der Reis der Zukunft gentechnisch verändert werden müssen. Nicht aus Profitgier, sondern wegen des Klimawandels. Denn inzwischen liegen am IRRI erste Daten vor, die zeigen, dass die globale Erwärmung den Reisertrag mindert: um etwa zehn Prozent pro Grad Temperaturanstieg. Dass man dem mit einer Ausweitung der Reisanbauflächen begegnet, hält Sheehy für ausgeschlossen. Es gebe weltweit keine nennenswerten erschließbaren Flächen mehr. Sein Lösungsansatz: mittels Gentechnik robustere und ertragreichere Reissorten zu züchten. So werden wir dann in zwanzig Jahren beim Asiaten um die Ecke sitzen, ein Curry mit Genreis essen, in die Überwachungskamera des Restaurants grinsen und uns tolle Räuberpistolen der technikpolitischen Kontroversen aus der Zeit der Jahrtausendwende erzä hlen – als wir glaubten, noch die Wahl zu haben.
[nbo / 9. März 2006 ]
Pressemitteilung von Greenpeace, Gruppe Bodensee

Ingenieure der Wahrheit

Wieder einmal erschüttert ein Fälschungsskandal die Wissenschaft: Auch ältere Arbeiten des südkoreanischen Klonforschers Hwang Woo-Suk, lange als Durchbruch in der Stammzellforschung gefeiert, sind sämtlich als unhaltbare Konstruktionen entlarvt worden. Nun steht Hwang als ein schwarzes Schaf der Wissenschaft dar, der von Eitelkeit und nationaler Prestigesucht getrieben wurde. Ansonsten herrscht Ratlosigkeit: "Es ist schwierig, in dieser sich schnell entwickelnden Story klar zu sehen", heißt es im Editorial der Januar-Ausgabe von Nature Biotechnology. Das Gegenteil ist der Fall. Denn derartige Fä lschungen sind kein Unfall, sondern ein Fehler im Wissenschaftssystem, wie es sich im 20. Jahrhundert entwickelt hat. Der Wissenschaftshistoriker Federico di Trocchio hat in seinem Buch "Der große Schwindel" schon vor über zehn Jahren richtig festgestellt, dass "die Verfügungsmacht der Finanzierungsgremien über die Forschung jene intellektuelle Autonomie beseitigte, die Wissenschaftler und Künstler immer gefordert hatten". Forschung ist längst Bestandteil nationaler Wirtschaftspolitik im Wettbewerb der "Standorte" geworden, intellektueller Rohstoff auf der Jagd nach raschen Innovationen, ohne die der moderne Kapitalismus nicht mehr auskommt. Das landläufige Bild von Wissenschaft hat mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten. Daran ist der Wissenschaftsbetrieb nicht unschuldig. Noch immer werden Entdeckungen als Heldensagen zelebriert, in denen geniale Geister der Natur ein wenig Wahrheit ablauschen, ohne auf materielle Vorteile aus zu sein. Das mag bis zum 19. Jahrhundert gegolten haben, in dem Köpfe wie Dalton, Darwin oder Maxwell die Grundlagen ihrer Wissenschaften erarbeiteten. Einstein ist wahrscheinlich der letzte dieser Art gewesen, der seine bahnbrechenden Theorien nicht in einem ökonomisierten Forschungskomplex entwickelte, in den die Universitäten schon eingebunden waren. Fä lschungen ausschließlich auf einen kapitalistischen Kontext zurückzufü hren, greift jedoch zu kurz. Mit verantwortlich ist auch die Art und Weise, in der die Wissenschaft ihre Arbeit selbst begreift. Indem Theorien sich immer weiter ausdifferenzieren, schrumpft der Spielraum für Unvorhergesehenes. Der Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn hat – zum Ärger der forschenden Geister – die normale Wissenschaft als "Rätsellösen" charakterisiert: Es geht nicht darum, interessante Fragen aufzuwerfen, sondern fehlende Antworten zu finden. Forschung wird zum Denksport, wie schon jeder Student der Naturwissenschaften früh lernen muss: Experimentelle Ergebnisse, die nicht zur Theorie passen, gelten zuerst als persönliches Unvermögen und nicht als die Möglichkeit, dass eine Theorie die komplexe Wirklichkeit einer Versuchsanordnung nur unvollständig beschreibt. So wandelt sich Wissenschaft von der Suche nach zum Engineering von Wahrheit – ganz im Sinne unseres von Technik durchdrungenen Zeitalters, in der praktische Verwertbarkeit von Erkenntnissen oberstes Gebot ist.
[nbo / 19. Januar 2006 ]
Nature News: Woo Suk Hwang Special

Evolutionskampf im Internet

Die Farce, die sich im Hause Sony abspielt, ist beachtlich. Erst die MP3-Revolution ignoriert. Dann – als Schöpfer des legendären Walkman – das Geschäft mit tragbaren digitalen Musikplayern verschlafen. Und jetzt noch ein PR-Desaster ersten Ranges, als man Kunden über Sony-CDs ein kriminelles Kopierschutzprogramm auf den Rechner schmuggelte, das sich unbemerkbar und unlöschbar einnistete. Dafür wandern "Hacker" sonst ins Gefängnis. Nach einem internationalen Aufschrei hat Sony eine Software zum Deinstallieren veröffentlicht und 4,7 Millionen betroffene CDs zurückgenommen. Da lacht des Zynikers Herz. Jenseits aller Schadenfreude markiert der Sony-Fehltritt aber einen Wendepunkt in der digitalen Zivilisation. Denn wie es aussieht, stammen Teile des Kopierschutzprogramms aus frei zugänglicher Open-Source-(OS)-Software – also aus jener Cyberkultur, in der die Old Economy die blanke Anarchie wä hnt. Weit gefehlt: Auch die OS-Software verfügt über ein juristisch bindendes und durchdachtes Urheberrecht. Es besagt, dass Programme, die aus OS-Software abgeleitet sind, selbst wieder den OS-Status bekommen müssen. Pech aber auch. Dieses Urheberrecht hat Sony bzw. der Zulieferer First 4 Internet offenbar verletzt. Wahrscheinlich nicht einmal aus Dreistigkeit, sondern weil die Architektur des Cyberspace längst zu komplex ist. Die Kultur des Teilens im Netz, zu der auch OS-Software gehört, ist inzwischen so tief ins Netz eingewoben, dass das alte Modell aus einklagbaren Lizenzen und Quasimonopolen nicht mehr automatisch durchgreift. Sie breitet sich langsam, aber sicher wie ein Dawkins'sches "Mem", eine Art kulturelles Gen, aus. Wie erfolgreich dieses Mem ist, zeigt auch der Boom des "Web 2.0", das seit letztem Jahr nicht nur San Francisco euphorisiert. Blogs, freie Archive wie der Fotospeicher Flickr und neue soziale Netzwerkdienste, sie alle sind von dem Geist getragen, dass das Teilen von Informationen cool ist. Die Dinosaurier starben aus, weil sie in einer veränderten Welt nicht mehr zurecht kamen. Das wird digitalen Saurieren wie Sony nicht anders gehen. Die unselige Gesetzesvorlage zur Kriminalisierung freier Software, die gerade in Frankreich vor der Abstimmung in der Nationalversammlung steht, wird daran nichts ändern. Sie beweist nur, dass die Saurier genau verstanden haben, welches Stündlein ihnen geschlagen hat. Nehmen wir's also ganz gelassen.
[nbo / 8. Dezember 2005 ]
New Scientist: Anti-piracy software accused of license violation
heise.de: Frankreich plant drastische Verschärfung des Urheberrechts

Wie wäre es mit Slow Tech?

Lange kursierte es als Rohfassung im Internet, nun hat der Erfinder und Visionär Ray Kurzweil sein Technik-Manifest veröffentlicht: ãSingularity is near" – die Singularität naht. Das ist in der Mathematik jener Wert, für den eine Exponentialkurve den Wert unendlich annimmt. Kurzweils These: Genau das blüht uns mit dem Tempo des technischen Fortschritts. Es nimmt exponentiell zu, bis der Mensch mit einer neu entstandenen Maschinenintelligenz verschmilzt und das Universum als ganzes ãerwacht". Das ist die Singularität der Evolution. Bis dahin werden wir einen immer schneller rasenden Wandel aushalten müssen. Kurzweil findet das verschmerzbar, weil wir am Ende unsterblich würden. Die meisten anderen werden sich an den Kopf fassen. Noch mehr Tempo? Längst tauchen auch Jüngere vor der unablässigen Innovationswelle ab. Diese Unlust spürt auch die Computerindustrie: Die Nutzer lassen ganze Rechner- oder Softwaregenerationen aus, anstatt ständig das aktuellste Modell zu kaufen. Ein aktueller Werbespruch trifft die Stimmung exakt: ãIch will einfach nur telefonieren." Nicht fotografieren, Videos ansehen oder Musik hören. Man kann das als uncoole Renitenz abtun. Möglicherweise ist es aber einfach dieselbe gesunde Geisteshaltung, die zur Slow-Food-Bewegung geführt hat: Genuss statt Hast. Vielleicht entsteht da eine "Slow-Tech-Bewegung", die alle Innovationen aussortiert, die nicht problem-, sondern marketinggetrieben sind. Symbol: ein schwarzes Bakelit-Telefon mit Wählscheibe. So eins schenken wir dann Ray Kurzweil zum Unendlichsten.
[nbo / 7. Oktober 2005 ]
Kurzweils Seite zum Buch "Singularity is near"
Da hat jemand tatsächlich slowtech.org angemeldet!

Nanotechnik: Raus aus dem Labor, rein in die Öffentlichkeit

Seit längerem gibt es Hinweise, dass Nanopartikel nicht nur Wunder bewirken, sondern unter Umständen auch toxisch sein können. Die Nanotech-Gemeinde versichert angesichts dessen zwar, dass man einen Dialog mit der Öffentlichkeit darüber führen wolle. Schließlich wolle man "aus den Fehlern der Gentechnikdebatte lernen". Aber passiert ist bislang so gut wie nichts. Jetzt haben Greenpeace UK und die britische Tageszeitung Guardian gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universitäten Cambridge und Newcastle die Debatte die Initiative ergriffen: Sie riefen die so genannte "Nanojury" ins Leben. Dieses Komitee aus zwanzig Bürgern, das erste zum Thema in Europa, hat gestern nach fünfwöchiger Beratung mit Experten und Kritikern sein "Urteil" über die neue Technik abgegeben: zehn vorläufige Empfehlungen an Politik und Nanoforschung. Wenn öffentliche Gelder investiert werden, sollten sie in langfristige Themen wie Gesundheit und Umweltprobleme fließen, empfiehlt die Nanojury unter anderem. Vor allem solle die Entwicklung neuer Technologien der Solarenergie gefördert werden. Auch auf die Frage, wie mit den möglichen Gefahren von Nanomaterialien umgegangen werden soll, hat die Jury ebenfalls eine klare Antwort: "Künstlich hergestellte Nanopartikel sollen vor einer Freisetzung in einer kontrollierten Umgebung getestet werden, als ob es sich um neue Stoffe handelt." Zudem sollten sie "klar gekennzeichnet werden". Damit folgen die Bürger den Empfehlungen, die bereits die britische Royal Society oder die Rückversicherung Swiss Re ausgesprochen hatten. Denn Stoffe, die bisher als nicht giftig bekannt sind, können im Nanoformat toxisch sein. Vor allem die Industrie konnte sich mit den Konsequenzen bislang nicht recht anfreunden, denn im Prinzip müssen sämtliche bekannten Materialien erneut untersucht werden - ein enormer Forschungsaufwand, der die Entwicklung neuer Produkte verzögern könnte. Dort hat man bislang auch Vorbehalte gehabt, ob solche Bürgerforen die komplexe Thematik überhaupt angemessen beurteilen können. Für den Physiker Richard Jones, den Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats der Jury, hat die Nanojury genau das bewiesen: "Man muss kein Experte sein, um tief gehende Fragen zu stellen." Jim Thomas von der kanadischen ETC Group, die vehement die möglichen Risiken der Nanotechnik anprangert, findet gar, dass die Laien der Jury "bessere Fragen gestellt haben, als es etablierte Wissenschaftsgremien je tun". Eine Ohrfeige haben die Bürger dann auch den Fachleuten aus der Forschung ausgeteilt: "Wissenschaftler sollten ihre Kommunikationsfähigkeiten verbessern", lautet die letzte Empfehlung. Man sollte die Bürger eben nicht unterschätzen.
[nbo / 22. September 2005 ]
Die Homepage der Nanojury (auf der die Empfehlungen veröffentlicht sind)

It's the energy, stupid!

Wenn hierzulande von Hightech die Rede ist, sind meistens Bio- und Informationstechnik gemeint. Auch die Nanotechnik, die in keinem Strategiepapier oder Wahlprogramm fehlt, wird oft auf den Kampf gegen unheilbare Krankheiten und die Suche nach noch kleineren, leistungsfähigeren Computerchips reduziert. Sicher zwei wichtige Herausforderungen für die nächsten Jahrzehnte. Doch es gibt mindestens eine Dritte, die uns in diesen Tagen nach der Katastrophe von New Orleans an jeder Tankstelle in Form von heftigen Benzinpreisen entgegenschlägt: eine wirklich zukunftsfähige Energietechnik. Während viele Zeitgenossen damit hässliche, laute Windrä der verbinden oder angeblich Arbeitsplätze vernichtende Auflagen, ist Energietechnik inzwischen vor allem eines: eine Hochtechnologie, wie drei Beispiele zeigen. Leuchtdioden sind die effizientesten Lichtquellen, die bislang ersonnen wurden und schon bald vom TV-Bildschirm bis zur Wohnzimmerlampe einsetzbar. Würde China 40 Prozent seiner Glühbirnen gegen Leuchtdioden austauschen, könnte es 100 Milliarden Kilowattstunden sparen – die Energiemenge, die der umstrittene Drei-Schluchten-Staudamm ab 2009 jährlich produzieren soll. Ist schon die Energienutzung nicht optimal, mutet unsere Energieversorgung geradezu absurd an. Die Vitalität der westlichen Zivilisation hängt über einige Pipelines an erschreckend wenigen Öl- und Gasfeldern wie ein Fötus über die Nabelschnur an seiner Mutter. Nanoenergietechnik hingegen könnte die überfällige Abnabelung ermöglichen. Nanosolarzellen sind so flexibel einsetzbar, dass sie bald die künstliche Photosynthese verwirklichen können. Nicht nur Dächer, jede dem Sonnenlicht ausgesetzte Oberfläche könnte mit diesen hauchdünnen Schichten versehen werden. Und im Nanomaßstab verbesserte Materialien verbessern den Wirkungsgrad von Brennstoffzellen und die dazu nötigen Wasserstoffspeicher derart, dass das Heimkraftwerk im Keller nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte. "It's the energy, stupid!" möchte man den Wahlkämpfern, vor allem im schwarz-gelben Lager, zurufen. Denn wenn die Nabelschnur reißt, erübrigen sich alle Steuerdebatten. Nicht das Steuersystem, eine zukunftsfähige Energieinfrastruktur ist die erste Voraussetzung fü r eine funktionierende Zivilisation.
[nbo / 9. September 2005 ]

Warten auf die Google-Box

Das Tempo, mit dem Google neue Dienste veröffentlicht, wird immer rasanter. In der vergangenen Woche waren es gleich zwei: das Instant-Messaging-System Google Talk und ein aufgemotzter PC-Suchbalken. Der listet in einer schmalen Fensterleiste aktuelle Suchergebnisse, News und eingegangene Emails auf. In der Pipeline sind weitere hübsche Ideen. So kann man in Großbritannien und den USA Google per SMS nach Kinofilmen, Restaurants oder Geschäften in der Umgebung fragen. Der Preisvergleichsdienst Froogle läuft in beiden Ländern ebenfalls schon auf dem Handy. Nicht jedem ist wohl bei so viel Innovation. Wie ein gallertartiges Infomonster in einem Sciencefiction-Film der Siebziger scheint Google aus dem Netz auf sämtlichen Bildschirmen hervorzuquellen. Dabei nistet es sich bevorzugt auf Windows-Rechnern ein. Schon sehen Auguren am Horizont einen Angriff auf das Microsoft-Imperium: die Entwicklung eines Google-Computerbetriebssystems – kurz Google OS getauft Ð, das Windows den Rang ablaufen könnte. Und die beiden Firmengründer Sergey Brin und Larry Page werden zur nä chsten Inkarnation des Bösen nach Bill Gates aufgebaut. Eine hübsche Verschwörungstheorie, aber irgendwie 90er Jahre Old-School. Es ist alles ganz anders. In Wahrheit haben Page und Brin eine geheime Mission: Sie bauen den "Hitchhiker's Guide to Planet Earth". Eine Erdversion jenes galaktischen Almanachs, den Douglas Adams in "Per Anhalter durch die Galaxis" vorstellte. Wie man hört, wird die Google-Zentrale von den Angestellten "Googleplex" genannt – nach dem genialen Sternendenker aus dem Adams'schen Roman. Wenn das kein Indiz ist. Nein, die Zukunft ist nicht ein Google OS, sondern die Google-Box: Ein PDA-artiges Gerät mit drahtloser Internetanbindung und Satelliten-Link, in dem Google für uns alle erdenklichen Informationen im Daten- und Wissensgestrüpp dieses Planeten findet und miteinander in Beziehung setzt. Der ultimative Reisebegleiter für den Erdenbürger des 21. Jahrhunderts. Und auf dem Startbildschirm steht dann: "Don't panic". Denn Google ist nicht böse.
[nbo / 1. September 2005 ]
Google Labs

Wie baue ich mir ein Problem?

Glauben wir den aseptisch ausgeleuchteten Broschüren moderner technologie-orientierter Unternehmen, meint Technik die Lösung unserer Probleme. Eine bessere Welt tut sich auf – zum Beispiel in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Nachdem Menschenrechtsgruppen jahrelang gegen die Unsitte protestiert hatten, Kinder als Jockeys bei Kamelrennen zu mißbrauchen, hat die Regierung deren Mindestalter im Juli auf 18 Jahre festgesetzt. Was machen nun die Kamelrennställe? Sie kaufen in der Schweiz Roboter-Jockeys zu 5500 Dollar das Stück. Die sind genauso leicht wie Fünfjährige und lassen sich obendrein noch fernsteuern. Per Knopfdruck kann der Besitzer den Roboreiter sogar die Peitsche schwingen lassen. Wenn das keine tolle Lösung ist. Der gesunde Menschenverstand weiß es besser: Technische Lösungen sind der Anfang aller Probleme. Denn so geht die Geschichte weiter. Im Juni 2014 bringt eine japanische Firma einen künstlichen Jockey auf den Markt, dessen überlegene Sensoren jede Fernsteuerung überflüssig macht. Ja, sogar menschliche Jockeys übertrifft, weil der Muskelapparat des Kamels permanent gescannt und analysiert werden kann. Der Robot kann daraus die optimale Zügelhaltung und Peitschenhäufigkeit berechnen. Mit Erfolg: Die bisherige Rekordzeit wird um sagenhafte zwei Minuten unterboten. Problem: Das Kamel ist so erschöpft, dass es monatelang nicht mehr ins Rennen geschickt werden kann. Tierschützer protestieren aufs Schärfste. Im April 2025 überrascht ein US-Technologie-Konsortium mit einem unglaublichen Coup: einem Roboterkamel, das dem Emir von Abu Dhabi geschenkt wird. Der erste Testlauf gerät jedoch zum Fiasko: Roboterkamel und Roboterjockeys entpuppen sich als inkompatibel. Schuld ist eine fehlerhafte Schnittstellenspezifikation, die nach wenigen Monaten korrigiert ist. Im Oktober 2027 kontert der japanische Konkurrent: Er präsentiert ein Roboterkamel, in das der Jockey schon integriert ist. Ein heftiger Streit entspinnt sich, ob das nicht regelwidrig sei. Darf ein Kamel ohne sichtbaren Jockey in ein Rennen gehen? Und eine "Assoziation unabhängiger Roboterfreunde" protestiert mit Happenings in Abu Dhabi, die arbeitslosen Jockeymodelle ins Elektroschrottrecycling zu geben verletze die Roboterwürde. Dabei hätte alles so einfach sein können. Man hätte nur erwachsene Männer auf die Kamele setzen müssen – so wie in früheren Jahrhunderten.
[nbo / 15. August 2005 ]
New Scientist: Robot camel-jockeys take to the track
cnet: Robot Giddyap! (Fotostrecke)

Ein atomarer "Greifarm"

Neulich in San JosŽ: Ich sitze mit einigen anderen Journalisten im IBM Almaden Research Center in jenem legendären Labor, in dem 1989 zum ersten Mal mit Atomen geschrieben wurde. Damals entdeckten Don Eigler und seine Mitstreiter, dass sich mit Rastertunnelmikroskop (STM) Atome nicht nur abbilden, sondern auch verschieben lassen. Ergebnis war der Schriftzug "IBM" aus 38 Xenon-Atomen. Heute führen Andreas Heinrich und Chris Lutz das Labor. Und was sie da so en passant erzählen, während wir wie kleine Kinder mit dem STM aus Kohlenmonoxid-Molekülen Smileys bauen, ist eine Sensation. Vor zwei Monaten haben die beiden entdeckt, dass sich Atome nicht nur verschieben lassen, sondern wie sie mit der Spitze des STM wie mit einem Greifarm - zugegeben ein schiefes Bild, den gegriffen wird nicht - reproduzierbar (!) anheben und irgendwo anders wieder absetzen lassen. Es war wie so oft eine Zufallsentdeckung, als magnetische Manganatome an der Spitze hängen blieben. Eigentlich experimentierten die beiden mit magnetischen Materialien, um neue Erkenntnisse für die so genannte Spintronik, also die Informationsverarbeitung mit Elektronenspins, zu gewinnen. Ihre Entdeckung zeigt hingegen, dass das umstrittene Konzept molekularer Roboterarme, 1986 von Eric Drexler in "Engines of Creation" vorgestellt und seitdem oft belä chelt, im Prinzip funktioniert. "Das kommt Drexlers Nano-Assemblern bisher am nächsten", räumt Andreas Heinrich ein, als ich ihn darauf anspreche. Ein wissenschaftliches Paper gibt es zu der Entdeckung bisher nicht. "Das kann man aber nur auf wenigen Oberflächen machen", schränkt er gleich ein. Nur Kristallstrukturen kommen in Frage, auf denen seitwärts wirkende Kräfte schwach sind, zum Beispiel auf einem Kupfer-(1,1,1)-Kristall. Ob es je mit nichtmetallischen, nichtmagnetischen Atomen wie Kohlenstoff funktioniert - das war nämlich Drexlers Idee -, ist unklar. Aber es zeigt, dass die Nanotechnik noch viele Überraschungen bringen wird. Wir können gespannt sein.
[nbo / 27. Juli 2005 ]
Homepage des IBM Almaden Research Center

Der Supreme Court und die Orwellsche Technosphäre

Der Supreme Court hat gesprochen: P2P-Netzwerke wie Grokster sind künftig haftbar für Copyright-Verletzungen, die dort getauscht werden. Eine Überraschung ist das nicht angesichts des repressiven Umgangs mit Technologien zur Verbreitung digitaler Produkte in den letzten Jahren. 1984, im Referenzfall, wurde Sony noch freigesprochen, mit der Technologie der Videorecorder Copyright-Verletzungen zu ermöglichen. 21 Jahre später wird hingegen digitale Kreativität per se kriminalisiert. Denn de facto wird damit freies und lizenzpflichtiges Copyright in einen Topf geworfen: Wer als Privatperson oder Independentfilmer/-musiker seine Werke in die Öffentlichkeit bringen will, kann dies nach diesem Urteil praktisch nur noch per Mailingliste oder eigener Website tun, denn in letzter Konsequenz bedeutet das Urteil, das P2P-Netzwerke jederzeit geschlossen werden können. Damit ist eine Entwicklung, die schon John Gilmore von der Electronic Frontier Foundation und Larry Lessig angeprangert haben, auf ihrem vorläufigen Höhepunkt angekommen. Schon die früheren Hifi-CD-Brenner, etwa von Philips, machten keinen Unterschied, ob es sich bei gebrannten Songs um Eigenkreationen oder gerippte CDs handelt. Kopieren von bereits gebrannter Musik wurde technisch blockiert, selbst wenn es sich um Stücke handelte, die man selbst mit der eigenen Band aufgenommen hatte. Im Namen des Big Business werden also die bahnbrechenden Veröffentlichungsmöglichkeiten des Netzes für Independent-Künstler gesperrt – direkt an der Wurzel, auf der technischen Ebene. Die Sicherung von Lizenz-Millionen ist wichtiger als eine prosperierende Kultur. Wie sollen wir damit umgehen? So wie im Falle von Linux einfach eine Paralleltechnologie zu Windows oder Unix zu entwickeln, scheint in diesem Fall unmöglich, denn hier wurde eine Technologie an sich unter Vorbehalt gestellt. Selbst wenn alle Grokster-User nur freies Material anbieten würden, könnte immer noch ein Industrie-Troll geschütztes Material einspeisen, so dass Grokster wiederum auf dem Klageweg fertig gemacht würde. Einem Troll seine Identität als Agent Provocateur nachzuweisen, ist unmöglich. P2P-Netzwerke sind der Willkür des Big Business schutzlos ausgeliefert. Die einzige Antwort kann nur ein langsamer zäher Kulturkampf für eine offene Technosphäre sein, die Befreiung des Codes. Beginnen müsste man eigentlich mit einem Boykott aller Labels und Studios, die diese Entscheidung unterstützt haben. Darunter auch Apple: Werde ich meinen iPod wegschmeißen? Schlimme Vorstellung. Aber wann ist der Punkt gekommen, an dem das Maß voll ist und die eigene Bequemlichkeit zurückstehen muss? Mit diesem Urteil? Klar ist, dass es ein Meilenstein auf dem Weg zu einer geschlossenen, ja Orwellschen Technosphäre ist, vergleichbar nur mit dem Supreme-Court-Urteil von 1981, das den Weg für die Patentierung von Software, Genen oder Geschäftsideen frei machte. Was also tun?
[nbo / 28. Juni 2005 ]
cnet: Supreme Court rules against file swapping
EFF: Supreme Court Ruling Will Chill Technology Innovation

Die Schreibtisch-Revolution

Es ist ein Kreuz mit diesen Computern. Kaum hat man sich für einen entschieden, gibt es wenig später ein neues Modell, das einen noch schnelleren Chip, eine neue Video-Schnittstelle oder eine noch größere Festplatte hat. "Nach dem Kauf ist vor dem Kauf", könnte man in Anlehnung an den legendären Bundestrainer Sepp Herberger sagen. Nur an einer Stelle kommt der Fortschritt scheinbar nicht vom Fleck: Seit über 20 Jahren beherrscht der "Schreibtisch" unsere Computeroberfläche. Als Apple 1984 die Technologie der Programmfenster, in den Siebzigern im Forschungslabor Xerox PARC ersonnen, auf den Mac brachte, war das eine Revolution. Es war die letzte Revolution auf dem Bildschirm. Seitdem jammern Experten für Software-Design und Benutzerfreundlichkeit auf Kongressen, es sei höchste Zeit für ein radikal anderes Oberflächenkonzept. Der Schreibtisch müsse weg, fordern sie, denn er quäle die User. Nur hat leider niemand eine bessere Idee. Selbst Apple, das kürzlich sein neues Betriebssystem "Tiger" herausgebracht hat, hält am Schreibtisch fest. Sind dem kalifornischen Unternehmen, das uns den iPod und wunderschöne Computer beschert hat, ausgerechnet hier die Ideen ausgegangen? Seien wir ehrlich: Die "Schreibtisch"-Oberfläche ist schon die ganze Zukunft. Danach kommt nichts mehr, allem Guru-Geschrei zum Trotz. Denn es ist eine so erfolgreiche Medientechnologie wie das Buch, dessen Konzept schon seit über tausend Jahren gleich geblieben ist. Der Grund: Sie ist sofort verständlich, denn Schreibtische kennt jeder aus dem Alltag. Die muss man bekanntlich aufräumen. Ärgerlich, aber unvermeidlich. Genau hier findet der Fortschritt statt. Wie zum Beispiel mit dem "Dashboard" in Apples "Tiger". Mit einem Tastendruck werden etliche kleine Infofenster in den Vordergrund gezaubert, auf denen Wetterbericht, Telefonbuch, Flugplan oder Börsenkurse eingeblendet sind. Noch ein Tastendruck, und weg sind sie wieder. Oder "Exposé", das schon im letzten Betriebssystem mitgeliefert wurde: Es blendet sämtliche Programmfenster auf einmal ein und stellt so den Überblick wieder her. Wie schön wäre das auf einem echten Schreibtisch, alle Papiere, Bücher und Utensilien würden sich für 10 Sekunden ordentlich aufreihen, so dass man nicht in Stapeln nach dem letzten Fax suchen muss. Gewöhnen wir uns doch einfach an den Gedanken, dass die Revolution in der Bedienung von Computern schon stattgefunden hat. Es wird keine runden Fenster oder etwas vergleichbar Seltsames geben. Die Oberflä che ist ein Schreibtisch. Und der Ball ist rund. Hat schon Sepp Herberger gesagt. bo / 27. Mai 2005 ]
The Register: Mac OS X 10.4 - more bling than bang
Apples Seite zu Mac OS X 10.4 Tiger

Die Kunst der Improvisation

Milliarden Menschen beneiden uns WestlerÊ um unsere ausgefeilte Technik, die das Leben so einfach erscheinen lässt. Wir legen Schalter um, drücken Knöpfchen, und schon setzen sich Maschineneingeweide in Bewegung, um Geschirr zu spülen, Schrauben ins neue Regal zu drehen oder raffiniert unsere Wohnungen zu erleuchten. Doch wenn ein kleines Teil seinen Geist aufgibt, sind wir Erstweltler verloren. Hilflos starren wir auf die Blackbox der Maschine, rufen den Kundendienst an. Oder schmei§en das Gerät gleich in den Müll und kaufen ein neues. Nicht so in Afrika. Hier wird jede Technik erst einmal ausgeweidet und auf ihre Wiederverwendbarkeit hin überprüft. Wie man aus der Not eine Tugend macht, zeigt etwa der ãMercatoÒ in Addis Abeba, der grö§te Markt Ostafrikas, der die Ausma§e eines ganzen Stadtteils hat. In einer Gasse werden aus alten Autoreifen Gummisandalen gefertigt, auf denen Tausende von Viehhirten durch die Savanne schreiten. Schon Hemingway zeigte sich 1935 in ãThe Green Hills of AfricaÒ von diesem Produkt recht beeindruckt. Offenbar ein Dauerbrenner afrikanischer Kreativität. In der ãElektroschrottgasseÒ des Mercato sitzen Männer in winzigen Verschlägen und reparieren so läppische Wegwerfartikel - denn das wären sie bei uns - wie Bügeleisen oder Lampen. Kein Schalter, kein Elektromotor, der sich hier nicht erstehen lie§e, kein Radiomodell, dem nicht ein zweites Leben eingehaucht werden könnte. Ein paar Meter weiter ertönt lautes Hämmern, ölverschmierte junge Männer schlagen auf ausrangierte LKW-Sto§dämpfer ein, Autoteile werden zurechtgebogen. Da wünscht man sich, dass Politiker und Industriestrategen erst mal einen Abstecher nach Addis Abeba machen, bevor sie sich über die Unzumutbarkeit einer Altauto- oder Elektroschrottverordnung ereifern. Manchmal wird die Kunst der Improvisation allerdings auch in Afrika zu weit getrieben. Auf einer Taxifahrt in Kenia hält unser Fahrer in einer sengend heißen, mit Basaltbrocken übersäten Einöde. Der Jeep-Motor hat sich überhitzt, und Kühlwasser wird nachgefüllt. Doch der Wagen springt nicht mehr an – einer der Batteriekontakte hat sich gelockert. Weil er kein Werkzeug dabei hat, versucht der Fahrer immer wieder, eine Badelatsche zwischen Kontakt und Haube zu klemmen, um den Kontakt zu fixieren. Es dauert eine halbe Stunde bei 40 Grad im nicht vorhandenen Schatten und ein Gebet gen Mekka, bis die Latsche richtig sitzt und der Motor wieder anspringt. Herr wirf eine Zange vom Himmel. Es muss ja gar nicht Hightech sein.
[nbo / 11. Mai 2005 ]

Spitting Message

Digitale Kommunikation wird immer unzuverlässiger. "Komisch, deine Mail habe ich nicht bekommen", heißt es nicht mehr selten, vor allem, wenn man Einladungen an eine ganze Liste verschickt hat. Übereifrige Spamfilter feiern hier billige Erfolgserlebnisse, während sie bei realer Spam versagen. Doch das ist nur ein Vorgeschmack auf das wahre Desaster: Wenn das Telefonieren irgendwann komplett auf die internetübliche IP-Übertragung umgestellt sein wird, läuft unsere Kommunikationssphäre Amok – zu Spam kommt "Spit" (Spam over Internet Telephony). Dann klingelt mindestens 20mal am Tag das Telefon, und ein freundlicher, natürlich weiblicher Roboter säuselt uns Viagra-Discounts ins Ohr. Die US-Firma Qovia entwickelt deshalb schon jetzt einen "Spitfilter". Wenn der so gut funktioniert wie Spamfilter, werden wohl nicht wenige unserer Anrufe bei Freunden und anderen im Nichts enden. Und in 60, 70 Jahren wird man dann lächelnd auf das "digitale Zeitalter" zurückblicken, während der wasserstoffberittene Bote ein ganz analoges Telegramm zustellt.
[nbo / 28. September 2004 ]
heise.de: Spam-Blocker für VoIP

Die Lösung des Energieproblems

Vor einigen Tagen gab es im Grundrauschen der Technikberichterstattung eine hübsche Meldung: Das US-Energieministerium DoE will ein Einweg-AKW entwickelt haben, das die Energieprobleme der "Dritten Welt" lösen könnte. 15 Meter hoch, vollständig versiegelt und mit einer Leistung von 100 Megawatt soll es 30 Jahre laufen, ohne dass nukleares Brennmaterial nachgelegt und radioaktive Abfälle entsorgt werden müssten. Danach wird es vom freundlichen DoE-Recycler also wieder abgeholt. Hat da jemand in Washington E.F. Schumachers "Small is Beautiful" missverstanden? Jene Vision von einer dezentralen Technik, die ärmere Weltgegenden vom technischen Gigantismus heilen will? In einer Zeit, da der Klimawandel mit jeder Flutkatastrophe greifbarer und der Krieg um den Zugang zum Öl immer chaotischer wird, ist es ja in, laut über die Renaissance der Atomenergie nachzudenken. Dass nun ausgerechnet die Bush-Regierung inmitten ihres "War on terror" Konzepte ausheckt, die Bombe in alle Welt frei Haus zu liefern, wäre ein toller Aprilscherz gewesen...
[nbo / 14. September 2004 ]
New Scientist: US plans portable nuclear power plants

Absurdes aus dem Ticketshop

Neulich im Web: Zum ersten Mal will ich mir Kinokarten im T-Online-Ticketshop kaufen. Toll, denke ich, mit Platzauswahl. Dann geht's zum Bezahlen: KreditkarteÊ oder Online-Überweisung? Die Frage beantwortet sich schnell, da bei Kartenzahlung T-Online einen Systemfehler meldet. Also probier ich's mit der Überweisung. Man müsse nur PIN und TAN des Kontos eingeben, heißt es. Ich hangel mich durch und komme zur entscheidenden Seite. Und was steht da? Zusätzlich zu PIN und TAN werden eine Online-Nr. und ein DTA-Gateway gefordert. Was bitte ist ein DTA-Gateway? In den Ticketshop-FAQ taucht das Wort nicht auf. Ich rufe bei T-Online an. "Dafür bin ich nicht ausgebildet worden, aber ich kann ihnen die T-Online-plus-Hotline geben", sagt das Callcenter. Klar, eine 0190-Nr. - ich soll also 60 Cent pro Minute zahlen, um rauszukriegen, was T-Online mit DTA-Gateway meint, anstatt es auf der Webseite einfach dazuzuschreiben. Meine Bank-Hotline weiß es zum Ortstarif: "DTA-Gateway? Wie lang ist denn Ihre Online-nr?" Ich: "10 Stellen". Die Bank: "Dann können sie dieses Online-Überweisungssystem nicht nutzen, das baut nämlich auf dem alten BTX-System der Telekom auf." So ist das mit dem Fortschritt.
[nbo / 17. August 2004 ]

"Ethnische" Waffen sind keine Science Fiction mehr

Die US-Firma NitroMed hat ein Herzmedikament speziell für Schwarze angekündigt: BiDil könnte schon 2005 auf den Markt kommen. Diese Nachricht ist wissenschaftlicher Sprengstoff größten Kalibers. Ist das etwa die Wiederauferstehung der durch Analysen des menschlichen Genoms längst beerdigten Rassen-Phantasmagorie? Seit längerem ist bekannt, dass die Genunterschiede zwischen zwei Nachbarn aus Hamburg größer sein können als die zwischen einem Dänen und einem Ghanaer. Für eine Rasseneinteilung gibt es damit keine biologische Grundlage. Tatsache ist aber auch: Es gibt in der Menschheit etwa 3 Mio. Genunterschiede, SNPs genannt, und ganze Bevölkerungsgruppen können SNPs haben, die andere nicht haben. Hier setzt BiDil an. Das Problem ist aber nicht nur eine Vermarktung als "African American Drug". Es zeigt erstmals, dass die seit einiger Zeit kontrovers diskutierten "ethnischen" B-Waffen, die SNPs einer bestimmten Bevölkerung ansprechen, keine Wahnvorstellung von Pessimisten sind. BiDil könnte der arglose Anfang eines neuen Horrors sein.
[nbo / 27. Juli 2004 ]
Nature News: "First 'black' drug nears approval"
Freitag: "Wenn Buchstaben zu Waffen werden"

McFAQ: Zu wenig Antworten auf meine Burger-Fragen

Vor einigen Tagen fand ich eine neue Ausgabe von "Themen – Service für Presse, Hörfunk und Fernsehen" in der Post. Das Blatt wird regelmäßig von unterschiedlichsten Branchen zur, nun ja, ergänzenden Information von Journalisten bestritten. Nicht immer uninteressant. Diesmal von McDonald's. Kein Wunder: Morgen läuft "Super Size Me" im Kino an, der missratene 30-Tage-Selbstversuch, sich ausschließlich von Mc-Essen zu ernähren. Ich erfahre im Themenheft, dass 90 % aller McDonald's-Zutaten aus Deutschland stammen. Immerhin! Dass die Zubereitung nach dem internationalen HACCP-Standard kontrolliert wird. Wie ausgeklügelt die Logistik ist. Und doch bleibt ein fader Nachgeschmack: Was ist mit dem "Kleingedruckten", all jenen im heutigen Industriefood üblichen Zusatzstoffen? Das Mc-Rindfleisch komme nicht aus Massentierhaltung, heißt es in den FAQ. Und das Hähnchenfleisch? Und sind die 30 % US-Weizenmehl, die allein den Mc-Brötchen ihren typischen Geschmack geben können, gentechnisch verändert? Viele Antworten, aber einige wichtige fehlen. Kann oder will uns McDonald's nicht mehr sagen? Das reicht nicht, um "Super Size Me" den Wind aus den Segeln zu nehmen. Morgen werde ich mir definitiv den Film "reinziehen".
[nbo / 14. Juli 2004 ]
Spiegel Online: "Super Size Me" - Angriff der Killer-Burger
McDonalds.de: FAQ zu Qualitätsfragen

Computer gucken Fußball...

An der Oberfläche ist eine EM Ballrausch und Schminkfest. Darunter ist sie ein Riesenbusiness, d.h. es herrscht Innovationszwang. Während die Teams neue Abwehrketten und Ballstaffetten austüfteln, überlegt sich die Heimentertainment-Branche, wie sie neue Fernseher unters Volk bekommt. Die gingen diesmal nämlich nur schleppend weg, die Leute gehen lieber wieder in die Kneipe. Hoffnung für die gebeutelten Hersteller könnte ein Videorecorder sein, der selbständig eine packende Zusammenfassung eines Spiels zusammenschneidet. An der dafür nötigen Bildauswertungssoftware arbeiten mehrere Forschungsgruppen, u.a. in Dublin und Florenz, Sharp experimentiert bereits damit. Aber hätte "MyPersonalSportschau" bei dieser EM geholfen? Das Spiel Holland – Tschechien wäre von 90 auf 85 Minuten gekürzt worden – es war einfach zu gut. Für Deutschland – Lettland hä tte eine halbe Minute gereicht (Verpakovskis' Fasttor), aber hätten wir das unserem Gerät geglaubt? Also hätten wir doch durch die ganze Aufnahme gezappt. Von Fussball wenigstens werden Rechner nie etwas verstehen.
[nbo / 5. Juli 2004 ]
New Scientist: Let software catch the game for you

Ein Trikot für Nowotny

So richtig begeisternd ist die Technisierung des Sports ja nicht. Im Freizeitsport mutieren so simple Sachen wie Wandern zu "Nordic Walking", für das plötzlich teure Stöcke nötig sind – von den Hitech-Leibchen ganz zu schweigen. Im Leistungssport geht der Trend zum Cyborg: Mit Technik kann man noch mehr aus dem Athleten rausholen. Eine Vorstufe davon wünschen wir uns für den WM2006-Kader der deutschen Nationalmannschaft: nämlich das "schlaue Trikot", das David Evans von der Northumbria University entwickelt hat. Darin sind EKG-Sensoren für Herzschlagmessung, Siliziumstreifen zur Schweißstandsdiagnose und Vibratoren, mit denen der Trainer sich beim Spieler bemerkbar kann, drin – alles per Funk mit der Bank verbunden. Hätte Rudi das diesmal schon gehabt: Er hätte schon nach 10 Minuten den Beweis gehabt, dass Nowotny nicht mehr kann, und vor Kloses vergurktem Kopfball gegen Lettland hätte er anhand von dessen Schweißattacke gewusst, dass das Ding nicht reingeht – und sich gar nicht mehr aufgeregt. Mit Evans' Trikot hätten wir 2006 Chancen fürs Achtelfinale.
[nbo / 30. Juni 2004 ]
wissenschaft.de: Schlaues Trikot macht müde Kicker ausfindig
Northumbria University: Health Impact Assessment

Der Assembler ist tot, es lebe die Schreibtischfabrik

Der kalifornische Ingenieur Eric Drexler hat 1986 der Welt die Vision des sich selbst vervielfältigenden Nanoroboters, des Assemblers, geschenkt, der in Schwärmen von Milliarden jeden beliebigen Gegenstand herstellen kann. Den Alptraum lieferte er frei Haus mit: Assembler könnten auf ihrer Suche nach verwertbaren Rohstoffen amoklaufen und die Biosphäre der Erde zerstören. Die Geister, die er rief, wurde er nicht mehr los. Die Scientific Community verübelte ihm die Vision, weil sie unwissenschaftlich sei, und für viele Zeitgenossen war sie purer Horror. Drexler beharrte dennoch lange auf dem Konzept, weshalb dessen interessanter Kern unterging: ein Gerät, mit dem Haushalte Gegenstände "ausdrucken" können, die industrielle Produktion also in Nanofactories daheim wandern könnte. In einem neuen Paper hat Drexler nun eine erste bemerkenswerte Kurskorrektur vorgenommen: Die Nanotechnik der Zukunft kann auch ohne selbst-replizierende Assembler die Schreibtisch-Fabrik für jedermann schaffen. Jetzt sind seine Kritiker am Zug.
[nbo / 10. Juni 2004 ]
Eric Drexler & Chris Phoenix: Safe Exponential Manufacturing
Auszug aus nbos Buch "Nano?!": Die Assembler-Frage

Big Brother, ganz olympisch

Nach der vorübergehenden Flucht des "Kalifen von Köln" hat sich der Ton der Sicherheitsdebatte weiter verschärft. Und obwohl die Ausweitung der Überwachung auch hierzulande als Antwort auf den "globalen Terrorismus" beschlossene Sache ist, kommt sie nur allmählich in Gang – Budgetbeschränkungen und demokratischen Spielregeln sei Dank. Wie man die schnell und elegant umgeht, macht Griechenland vor. Dort wird zum Schutz der Athener Olympiade im August ein Überwachungssystem aufgebaut, das "state of the art" ist. Besorgte Sportfreaks aus aller Welt, die dabei sein wollen, werden erleichtert sein. Aber wenn sie wieder abgereist sind, wird das rund 255 Millionen Euro teure IT-System bleiben, das u.a. sämtliche Kameras und Sensoren in Athen, Thessaloniki und vier weiteren Olympiastätten mit 116 neu geschaffenen Operationszentralen der Polizei in Echtzeit verbindet. Dies werde die neue Infrastruktur der Polizei, bestätigt Eleftherios Ikonomou, Sprecher des griechischen Innenministeriums. Da sage noch einer, die Olympiade wäre nur noch ein blödes Medienspektakel.
[nbo / 1. Juni 2004 ]

Bill Gates ist cooler

64 Kilometer – das ist schon beeindruckend. Der Amerikaner Mike Mevill ist als erster Privatmann ohne die Hilfe staatlicher Raumfahrtorganisationen an den Rand des erdnahen Weltraums aufgebrochen. Das zeigt, dass die Raumfahrt mit den heutigen Möglichkeiten an Technik und Finanzierung auch privat gemeistert werden kann. Der Flug ist für Mevill ein wichtiger Schritt in Richtung Weltraumtourismus. Dafür hat Microsoft-Mitgründer Paul Allen etliche Millionen Dollar spendiert. Klingt cool. Aber eigentlich ist es doch blödsinnige Kapitalvernichtung. Dass es irgendwann Charterflüge in den Orbit geben könnte, möchte man der Stille des Alls nun wirklich nicht wünschen. Aber das ist nicht alles. Der andere Microsoft-Mitgründer Bill Gates, für viele der Inbegriff des üblen Kapitalisten, lässt seine überzähligen Millionen auf der Erde springen: für die Bekämpfung von Malaria und anderen Krankheiten, die nur die nichtwestliche Welt plagen und daher für Pharmakonzerne uninteressant sind. Let's face it: Bill Gates ist cooler.
[nbo / 14. Mai 2004 ]
Netzeitung: Privatmann fliegt an den Rand des Weltraums
Bill & Melinda Gates Foundation

Otto Schily bestellt in Redmond...

Otto Schily hat sich in seiner Amtszeit viele Freunde gemacht mit seiner autoritären Vorstellung davon, wie man den Rechtsstaat schützt. Während er mit den Grünen um die abgebrochenen Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz streitet, hat er Anfang der Woche Microsoft-Chef Steve Ballmer getroffen und eine Kooperation in Fragen der IT-Sicherheit vereinbart. Auf die Frage, worum es im Detail gehe, wollte Schily nicht antworten. Das hätten wir aber schon gerne genauer gewusst, während die nächste Wurmplage wieder einmal den Windows-Teil des Internets befallen hat. Was kann Ballmer ihm wirklich Überzeugendes angeboten haben? Eine böse Erinnerung kommt auf: an den berüchtigten "NSA-Key", eine angebliche Schnittstelle für Kryptografie-Schlüssel, die Microsoft für den US-amerikanischen Geheimdienst NSA in Windows angelegt haben soll. Hat Otto Schily einen BND-Key bestellt? Wundern würden einen nichts mehr in dieser Terror-Paranoia, in der der Rechtsstaat von seinen Beschützern mit Hightech demontiert wird.
[nbo / 6. Mai 2004 ]
heise.de: Microsoft unterstützt Bundesinnenministerium bei IT-Sicherheit
heise.de: Debatte um NSAkey geht weiter (Sept. 1999)

Blutdruck per Bluetooth

Wissenschaftler an der Uni Michigan haben eine "Stentenna" entwickelt: Das ist ein Stent, also eine Stützprothese für zuvor verstopfte und freigeschabte Arterien, die auch den Blutdruck messen und die Daten an einen Empfänger senden kann. Man könnte auch sagen, eine Art RFID-Tag für den Kreislauf. Ob das für einen Kranken Fluch oder Segen ist, diese Frage sollte man nicht zu schnell beantworten. Wer unter Bluthochdruck leidet, wird womöglich auf sein Stentenna-Display so häufig und so ungeduldig starren wie jetzt viele Leute, die auf eine SMS warten, auf ihr Handy. Treppe rauf, Blutdruck rauf. Glas Wein getrunken, Blutdruck rauf. Das Ackern des eigenen Körpers wird in Echtzeit verfolgbar. Sich selbst belügen ist nicht mehr, eine Eigenschaft, in gerade Herzkranke brillieren. Und irgendwann wird so eine Technologie dann in ein hippes Massenprodukt auch für Gesunde umfunktioniert. "Wie geht's?" – schon werden alle Körperdaten per Bluetooth 3.0 rübergebeamt. "Oh lass uns nicht trinken gehen, du hast heute keine Kondition." Der Fitnesswahn von heute wird ein Witz dagegen sein.
[nbo / 22. April 2004 ]

Der harte Dauerfrühling des Cyberspace

Nichts ist so alt wie das Bookmark von gestern: Tote Links und abgemeldete Domains kennen wir alle. Sie sind das Pendant des Cyberspace zu umgestürzten Bäumen im Wald oder von Erosion angefressenen Steilküsten. Der Cyberspace ist ein digitales Ökosystem, das unüberschaubar vor sich hin wuchert. Oft überfordert es uns – und auch die Unternehmen, die dort ihre Schaufenster und Warenlager eingerichtet haben. Die Münchner Firma Stellent hat festgestellt, dass nur ein Viertel aller deutschen Unternehmenssites aktueller als einen Monat sind. Die Zähmung des allgegenwärtigen Datendschungels kostet offenbar Energie, die für das Aufräumen des Hauses fehlt. In der realen Welt kann man sich das für den Frühlingsanfang (übermorgen) aufheben. Im Winter nimmt einem niemand das Durcheinander in den eigenen vier Wänden übel. Im Cyberspace gibt es leider keinen Winter: Hier herrscht Dauerfrühling, und die User verlangen jeden Tag Sonnenschein, gepflegten Rasen und gutgelaunten Service. Wie unmenschlich. Wann werden endlich Jahreszeiten fürs Internet erfunden?
[nbo / 18. März 2004 ]
heise.de: Verfallsdatum überschritten -- überholte Informationen im Internet

NanoMeetsPop?

Edelgard Bulmahn hat heute ihre neue Nanotechnik-Initiative vorgestellt: Mit 200 Mio. Euro über vier Jahre fördert die Bundesregierung die Felder NanoFab, NanoLux, NanoMobil und NanoForLife. Immerhin vier prägnante Begriffe – endlich lernt auch die deutsche Hitech-Community, dass Klingeln zum Geschäft gehört. Nur der Betrag ist nicht so beeindruckend. George W. Bush lä sst allein in diesem Jahr 847 Mio. Dollar Nano-Förderung springen. Noch brauchen sich die Europäer mit ihrer Forschung überhaupt nicht zu verstecken. Doch in den USA greift schon wieder die Euphorie wie einst beim Web: Es gibt bereits Nano-Magazine, -Newsletter, -Venture-Capitalists... Hierzulande versprüht "nano" hingegen Maschinenbau-Charme. Das Bundestags-Büro für Technikfolgen-Abschätzung hat in seinem kürzlich vorgelegten Bericht "Nanotechnologie"Ê "die Schaffung einer zentralen Informationsstelle für die breite Öffentlichkeit" im Netz gefordert. Gute Idee, wenn da endlich auch mal Popkultur mit einfließt. Wie wäre es also mit NanoMeetsPop als 5. Bein der Initiative? [nbo / 9. März 2004 ]
Bundesregierung startet Innovationsinitiative "Nanotechnologie erobert Märkte"
ab 19. März: "NANO?! Die Technik des 21. Jahrhunderts" (von nbo)

Überinformation vs. Privacy

Eine neue Bedrohung beunruhigt die Privacy-Szene: die RFID-Chips, die jedem Ding eine eigene Seriennummer geben, die sichÊ auslesen lässt. An Produkten angebracht, ermöglichen sie so die genaue Verfolgung des Warenflusses. Und, wie Datenschützer argwöhnen, auch eine Analyse von Konsumverhalten, die den Big-Brother-Staat wieder einen Schritt näherbringt. Foebud hat nun zur Demo gegen Metro aufgerufen, das RFID-Chips seit einem Jahr testet. Natürlich kann man dagegen protestieren. Halten wir aber kurz den Protestreflex zurück. Wenn wir die Freiheit der Information fordern - z.B. als MP3-Files und damit gegen die Musikindustrie argumentieren -, müssen wir dann nicht konsequenterweise auch den freien Fluss ALLER Datenkonstrukte zulassen, also auch den Datenschatten von Produkten UND unserer Verhaltensweisen? Die totale Datenkontrolle etwa von MP3s ist technisch unmöglich - und ebenso ist es totale digitale Privacy. Die Gegenstrategie kann nur sein: totale Offenheit mit gezielter Überinformation. Daten zurückzuhalten ist eine Illusion.
[nbo / 19. Februar 2004 ]
Demonstrationsaufruf von Foebud für den 28.2.2004 bei Metro in Rheinberg

Georges nächster Kampf

George W. Bush hat eine weitere Grundsatzrede gehalten. Nach dem Bekenntnis vom Wochenende – "I'm a war president" – hat er jetzt den Kampf gegen Entwicklung und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ausgerufen. Daran ist nichts falsch. Nur warum nutzt die US-Regierung nicht konsequent bereits existierenende Instrumente? 1975 verabschiedete die UNO die B-Waffen-Konvention. Seitdem von 143 Staaten unterzeichnet, ist sie nie effektiv in Kraft getreten, vor allem weil sich die USA geweigert haben, internationale Kontrollen in ihren Militärlaboren zuzulassen. Solange es solche Kontrollen nicht gibt, können andere Regierungen im Verborgenen B-Waffen entwickeln. Damit nicht genug: Die US-Regierung hat 2002 das MIT Institute for Soldier Nanotechnology ins Leben gerufen. Dort werden zwar nur Defensiv-Waffen entwickelt. Aber gerade in den USA läuft die Forschung an neuen nanomedizinischen Verfahren bereits auf Hochtouren – und von maßgeschneiderten Therapien zu ganz neuen maßgeschneiderten B-Waffen ist es kein weiter Schritt. Der Kampf fängt zu hause an, George.
[nbo / 12. Februar 2004 ]
Netzeitung: Bush fordert verstärkten Kampf gegen Verbreitung von Massenvernichtungswaffen

John Brunner revisited

In den 70ern hat man apokalyptische Visionen noch ernst genommen. Man ging sogar auf die Straße. Heute sind sie ein guter Plot für ein Computerspiel oder für einen Thriller. Neulich habe ich so eine Vision in die Finger bekommen: John Brunners "Schafe blicken auf" von 1972. Darin beschreibt er unsere Gegenwart als eine Zeit, in der Luft, Boden, Wasser und Lebensmittel von raffgierigen Konzernen mit einem unglaublichen Chemikaliencocktail verseucht und verpestet worden sind. Jeder Bürger leidet an mehreren Krankheiten, und auf die Straße kann man nur mit Atemmaske. Obwohl das Buch nicht angestaubt wirkt, legt man es erleichtert zur Seite und denkt: Ist ja alles ganz anders gekommen. Oder kommt es erst jetzt? Auch wenn es zwei unterschiedliche Arten von Viren sind: MyDoom und das Vogelgrippe-Virus sind in ihrer Entstehung Produkte der Zivilisation. Aber nicht von raffgierigen Konzernen – es ist die Komplexität der Technosphäre, die Brunner nicht vorhersah, die uns aber ebenso über den Kopf wachsen könnte. Denn sicher ist: MyDoom und Vogelgrippe sind nicht das Ende dessen, was möglich ist. Nur die Vorhut.
[nbo / 5. Februar 2004 ]

die Militarisierung des Weltraums

Dass die ESA-Sonde "Mars Express" den ersten wissenschaftlich harten Nachweis für Wasser auf dem Roten Planeten gefunden hat, ist eine kleine Sensation. Eine weitere Zacke, die aus der Krone der irdischen Hybris bricht. Unser Planet ist nicht nur geometrisch nicht das Zentrum des Universums: Auch der Exklusivanspruch, die einzige Welt mit Leben oder Voraussetzungen dafür zu sein, wird immer unhaltbarer. Nach diesem Fund ist noch wahrscheinlicher, dass auf dem Mars eine Lebensform zumindest in ferner Vergangenheit existiert haben könnte. Doch die Untertöne der Entdeckung sind unschön. Die ESA jubelt, als habe sie die Scharte des verlorenen "Beagle 2" auswetzen wollen, erst recht, da jetzt auch der NASA-Marsrover verstummt ist. Der europäisch-amerikanische Konflikt schwelt auch auf dem Mars – hier getarnt als sportlicher Forscher-Ehrgeiz. Dazu kommt die Mars-Rede von Bush letzte Woche, die von Eroberungsrhetorik und unausgesprochener Konkurrenz mit China geprägt war. Die Militarisierung des Weltraums ist längst im Gange.
[nbo / 23. Januar 2004 ]
ESA Portal: Mars Express sees its first water
FREITAG: Mars, Mut und Missionen

Die Mär vom Robot-Forscher

Der weltweite Roboterpark hat ein neues Mitglied: den "Robo-Scientist" der University of Wales. Er ermittelt selbständig die Funktion von bisher unverstandenen Hefegenen. Was ihn von einem gewöhnlichen Automaten unterscheiden soll, ist eine formale Logiksprache, in der er neue wissenschaftliche Hypothesen zu den Genen formulieren und überprüfen könne, heißt es. Schon orakeln Medien von arbeitslosen Forschern. Fehlt nur noch, dass ein Monitor abgebildet wird, der uns die Zunge rausstreckt. Mal abgesehen davon, dass es täglich Brot von Rechnern ist, formallogische Aussagen abzuarbeiten: Die Sprünge in der Wissenschaft sind nicht logischen Prozeduren, sondern dem Phänomen Kreativität zu verdanken, deren Hirnprozesse nicht annähernd verstanden sind. Der mäßig kreativen Arbeit der Hefegen-Analyse weint denn auch keiner nach: "Wir hatten Robot-Forscher schon lange, wir haben sie nur Diplomanden genannt", witzelt ein Wissenschaftler. Eigentlich ist es nur ein weiterer Industrieroboter – nicht mehr und nicht weniger. Die Wissenschaft ändert das nicht.
[nbo / 15. Januar 2004 ]
Nature Science Update: Introducing robo-scientist

Sprechendes Geld

Es gab bereits Gerüchte, die Europäische Zentralbank wolle Banknoten mit Minisendern ("RFID tags") als Fälschungsschutz versehen. Datenschützern wurde ganz anders. Zumindest in amerikanischen Kasinos scheint die hauseigene Währung aufgerüstet zu werden: Spielchips sollen bald RFID tags bekommen. Damit wollen die Kasinobesitzer auch feststellen, welchen Weg die Plastikteile durch ihre Spielhöllen nehmen. Lassen wir kurz die Big-Brother-Gedanken beiseite und der Phantasie freien Lauf. Mit ultraflachen Prozessoren versehenes Geld würde der abstrakten Geldmenge "M3" endlich eine Bedeutung geben. Die Zentralbanker wüssten, wo der Rubel rollt oder unter der Matratze liegt. Eine ganz neue Konjunkturpolitik würde möglich, endlich wäre das widerspenstige Geld gezähmt, das immer dort fehlt, wo man es braucht. Mehr noch: Das "sprechende" Geld könnte uns eine SMS schicken, wenn wir unser einprogrammiertes Budget überziehen wollen, einen Höllenalarm losschlagen, wenn wir es trotzdem ausgeben. Der Kapitalismus bekäme das überfällige Feintuning verpasst.
[nbo / 14. Januar 2004 ]
New Scientist: Casino chips to carry RFID tags

Krieg häppchenweise

Zum Jahreswechsel habe ich Post von der Hamburger Sparkasse bekommen. Doch drinnen sind keine Weihnachtsgrüße oder Wü nsche für ein gutes 2004. "Information zum Terrorausschluss für ABC Waffen" steht da. Was? Tatsächlich: Unfälle, die durch den Einsatz von ABC-Waffen verschuldet sind, werden ab sofort aus der Unfallversicherung meiner Kreditkarte ausgeschlossen. Widerspruch führt zur Kündigung der Karte seitens der Bank. "Die allgemeine weltpolitische Lage macht... eine Neueinstufung des Risikos durch Terroranschläge... nötig." Wir erinnern uns: Die Anthrax-Briefe 2001 stammten sehr wahrscheinlich aus einem US-Labor selbst; die B- und C-Waffen von Saddam Hussein sind bis heute in keinem Erdloch aufgetaucht. Weiß die Versicherungswirtschaft etwa mehr, als wir in den Medien erfahren können? Oder ist dies eine neue virtuose Spielart des Info War? Niemand weiß, ob es heute einsatzbereite Massenvernichtungswaffen in Terroristenhänden gibt. Allein die Möglichkeit ihrer Existenz führt zu einer häppchenweisen Ausrufung des Kriegszustands. Wer weiß, was morgen im Briefkasten ist.
[nbo / 6. Januar 2004 ]

Such den Phaeton

Der VW Phaeton ist ein großes, starkes Auto. 5 Meter lang, 2 Tonnen schwer, 420 PS. Jeder Autozocker hätte es schwer, diesen Straßenkreuzer zu verstecken. Für den VW-Konzern ist das ein Leichtes: Die Wolfsburger können ihn, simsalabim, zum Verschwinden bringen. Einfach so im Rechner. Sie können das so gut, dass sie anschließend selbst nicht mehr wissen, wo er steht. Davon bekam die "Bild" Wind und berichtete letzten Samstag, bei VW seien zwölf Phaeton verschwunden. 1,2 Mio Euro in Luft aufgelöst. Gestern tauchten sie auf einem Werksparkplatz wieder auf. Sie seien "auf eine falsche Kostenstelle gebucht" worden, sagte ein Sprecher. Wenn wir zuhause etwas verlegen, wundert uns das nicht. Aber ein Weltkonzern mit globalem Rechner-Netzwerk, ausgeklügelten Datenbanken und Data-Mining-Programmen? Irgendwelche Mitarbeiter werden gewusst haben, wo sie die Phaetons geparkt hatten. Aber ihre Köpfe ließen sich nicht wie in "Matrix" ans Netzwerk anschließen. So bleibt das alte Bonmot "Wenn VW wüsste, was VW weiß" das Grundproblem des Wissensmanagements. Die Komplexität eines Global Players eilt offenbar den Möglichkeiten der informationstechnischen Revolution davon. Und irgendwann hat das Pentagon zwei oder drei Sprengköpfe verlegt – natürlich nur im Rechner...
[nbo / 26. November 2003 ]
Wolfsburger Allgemeine: Phaeton-Panne: Luxuswagen sind da, Volkswagen hatte sich nur verzählt!

Die Raubkatze schlägt zu

Letzte Woche noch herrschte Partylaune in der Mac-Gemeinde: Apple hatte das lang ersehnte Update seines Betriebssystem Mac OS X auf den Markt gebracht - die Version 10.3, der ihre Entwickler liebevoll den Namen "Panther" gegeben haben. Unglaublich schnell sollte die Raubkatze sein, handzahm in der Bedienung und zudem Windows-Fans das Fürchten lehren. Doch seit heute ist eines klar: "Panther" eignet sich nicht als Haustier. Wie zahlreiche Mac-Besitzer in Webforen berichten, löscht das Betriebssystem bei der Installation versehentlich externe Festplatten. Der Alptraum eines jeden Computerbesitzers: Vor dem Update geht man auf Nummer sicher, legt ein Backup aller privaten Daten an und hinterher sind Familienfotos, Briefe und die mehrere Gigabyte große MP3-Sammlung futsch. Nur, weil ein paar Programmierer einen kleinen Fehler gemacht haben. Einen solchen Fauxpas hat sich bislang nicht einmal Softwareriese Microsoft geleistet, dessen Windows schon seit etlichen Jahren als Betriebssystem gewordenes Sicherheitsrisiko gilt. Diesen Titel muss es sich nun mit der datenhungrigen Raubkatze aus Cupertino teilen.
[jue / 31. Oktober 2003 ]
Wired: Bye-bye data - Glitch in Panther

Macchiavelli im Weltraum

Aufbruch ins All - dieser Traum ist schon lange schal geworden. Er hat etwas von diesem abgestandenen Technokraten-Unwesen der 50er und 60er. Mit einer Note von Lebensraum-Politik: Die "Terraner" haben keinen Platz mehr auf ihrem Planeten (woran sie nur selbst schuld sind). Um so bemerkenswerter ist da der neue chinesische Aufbruch ins All. Diese Euphorie, mit dem das offizielle China seinen ersten bemannten Raumflug mit der Rakete Shenzhou 5 feiern lässt. Könnte es sein, dass es hier nicht um ein Konkurrenzprojekt zu den USA geht? Dass man gar nicht in den Orbit will, um dort besser zuschlagen zu können, wenn man Taiwan einsackt und die Amerikaner es verteidigen wollen? Stellen wir uns vor, es hätte im Politbüro in Peking vor ein paar Jahren eine zweite Mondrede gegeben. China ist das einzige Land der Erde, das noch den Willen und den Machiavellismus aufbringt, seine Einwohner ins All zu hieven. Die Deportationen der Zensunni-Wanderer aus Frank Herberts "Dune" fallen mir ein. Das All als Alptraum - irgendwann made in China? Shenzhou 5 lässt mich schaudern.
[nbo / 26. Oktober 2003 ]
Die Zeit: "Partner im All"

Fälschung, Paranoia und Wirtschaftwunder

Dass es gefakete MP3s in Tauschbörsen gibt, die nur Loops enthalten und von der Musikindustrie als Waffe gegen "Piraten" in Umlauf gebracht wurden, hat sich herum gesprochen. Die Firma Macrovision geht mit einer Software namens Fade einen subtilen Schritt weiter. Fade deaktiviert nä mlich nicht Raubkopien von Spielen, sondern lässt nach einiger Zeit die Kugeln am Ziel vorbeifliegen, die Wagen und Raumschiffe vom Kurs abkommen – das Spiel läuft ins Chaos. Man bemerkt den Fake also nicht sofort. Da fallen mir nanotechnische Materie-Compiler ein. Mit denen "druckt" man irgendwann beliebige am Rechner entworfene Gegenstände "aus". Die Vorstufen gibt es schon. Was macht die Industrie? Richtig, sie nutzt ein "Materie-Fade" – und die Kanne, die ich mir rücksichtslos selbst ausgedruckt habe, wird nach 3 Tagen undicht. Wow! Konsum wird zur Paranoia: Ist das Second-Hand-Regal echt, oder liegen morgen frü h die Bücher auf dem Boden? Ein Produzent wird dann zum Zertifizierer: Nur meine Ware ist echt. Ihr müsst alle Neuware kaufen! Gibt das ein Wachstum! Schröder sollte eine Fade-Kommission berufen.
[nbo / 10. Oktober 2003 ]
New Scientist: "'Subversive' code could kill off software piracy"

Leben in der Matrix 3

Im Oktober-Heft von Spektrum der Wissenschaft fragt sich Redakteur Christoph Pöppe, ob wir eigentlich merken könnten, dass wir in einer Matrix leben, wenn es denn so wäre. Die Heisenbergsche Unschärferelation könnte so etwas sein. Weil die Matrix-Schöpfer nur eine endliche Zahl von Dezimalstellen für Messgrößen vorgesehen haben, werden z.B. dem Impuls ein paar Stellen weggenommen, wenn man den Ort exakter misst. Eine nette Idee, die aber eine sehr dynamische Speicherverwaltung voraussetzt. Noch interessanter wären die potenziellen Bugs in unserer Matrix. Da gäbe es doch einige: die kalte Kernfusion, die sich nie wiederholen ließ, Rupert Sheldrakes morphogenetische Felder und die Telepathie der Hunde, die er seit Jahren beweisen will, das Bermudadreieck, Entführungen durch Aliens und wohl auch unsere Träume. Die Liste könnte so lang fortgesetzt werden, dass einem angst und bange werden kann. Alles Buffer Overflows in unserer Matrix. Und die Dawkins'schen Meme sind schlampig programmierte Endlosschleifen. Wie kommt man da raus? In einem Monat wissen wir mehr!
[nbo / 7. Oktober 2003 ]

Gates'en statt googeln?

Sie können es einfach nicht lassen. Microsoft hat eine neue Mission: die Websuche zu erobern. Offenbar ist es in Redmond ausgemachte Sache, dass man sich in den nächsten Kampf stürzt. Mit Google. Dabei hatte Google-Gründer Sergey Brin neulich noch sybillinisch gemeint, eine Übernahme der Suchmaschine Nr. 1 durch Microsoft sei einen Gedanken wert. Aber die Gates-Company will nun eine eigene Suchmaschine bauen. Ob "mit" oder gegen Google: Beide Aussichten sind beunruhigend (leider muss ich hier immer wieder Beunruhigendes vermelden). "Mit" Google würde nach den Desktops dieser Welt auch das wichtigste Tor ins Web an Microsoft fallen. Ohne Google wird die neue MS-Suchmaschine in Windows integriert – und das wichtigste Tor ins Web direkt auf den Desktop fallen (und damit das vollendet, was MSN nie geschafft hat). Früher stand IBM einmal für die Allmacht der Computertechnik in der Hand eines Konzerns. Heute ist es Microsoft. Noch immer - das Gates-Imperium als Dinosaurier abzuschreiben, ist völlig unangebracht. Die nächsten 5 Jahre werden noch einige Überraschungen bringen.
[nbo / 22. September 2003 ]
CNN: Microsoft goes after Google

Schnittstellen für die totale Kontrolle

Ich mag Handys immer noch nicht. Es gibt kaum etwas Blöderes als diese schlechten Klingelmelodien. Da sind Stö rsender, die die Mobilteile in Gebäuden blocken können, ein Segen. Was aber die britische Firma Iceberg Systems ausheckt, ist beunruhigend. Sie wollen mit ähnlichen Störsendern künftig die Kamerafunktion in Handys deaktivieren. Ü berall dort, wo jemand nicht möchte, dass Bilder gemacht werden. Das klingt erstmal plausibel, denn plötzlich wird jedes Handy zur Bond-Kamera. Nun verhandelt Iceberg mit den Geräteherstellern, einen standardisierten Empfänger für das Blockadesignal einzubauen. Und da schrillen meine Alarmglocken (z.B. als "kleine Nachtmusik"). Damit werden Schnittstellen in persönlicher Technik geschaffen, die eine intransparente Kontrolle von außen ermöglichen. Die Fotodeaktivierung wird nicht der letzte Schritt sein. Hand in Hand werden Staat und Wirtschaft neue No-Go-Areas schaffen, die einen Eingriff in meine Technik rechtfertigen sollen – so wie gerade beim Urheberrecht. Die Überwachung ist groß und George Orwell ist ihr Prophet.
[nbo / 15. September 2003 ]
heise.de: Fernabschaltung für Kamera im Handy

Closed Shops sind von gestern

Die unendliche Geschichte der Software-Patente ist wieder um eine Farce reicher. Nippon Electric will also den Webshop mit Kundenlogin erfunden haben. Am 26. August haben sie dafür Patentschutz beim Europäischen Patentamt beantragt. Harharhar! Wenn da nicht die EU-Kommission Druck machen würde, Software-Patente endlich auch in dieser Weltgegend einzuführen. Immerhin haben sich die EU-Parlamentarier "nicht über den Tisch ziehen" (quintessenz.org) lassen und die Abstimmung verschoben. Interessanterweise entdecken zur selben Zeit die Großen im e-Business die Vorteile der Offenheit. Amazon, Google und eBay haben vor längerem schon die Schnittstellen zu ihren Datenbanken zugänglich gemacht. Jeder kann nun darauf zugreifen und Informationen herausziehen – die Lizenz dazu gibt es umsonst. Daraus ist eine regelrechte Community der "Hacks" geworden. Die nü tzen Usern ebenso wie dem "Online-Laden um die Ecke", der in irgendeiner Weise von den Großen profitiert (z.B. Amazon-Partnerprogramm). Das ist morgen – Nippon Electric war, hoffentlich, gestern.
[nbo / 4. September 2003 ]
O'Reilly-Bücher: "Google Hacks", "Amazon Hacks" etc.
quintessenz.org: Patent auf Webshops angemeldet

Wir brauchen keine Open-Source-RAF

Seit Wochen versucht SCO, über die Patentverletzungsklage gegen IBM, GNU/Linux anzuschießen. SCO-Unix-Code sei von der Szene geklaut worden (akribische Recherchen im Unix-Stammbaum lassen daran zweifeln), und das gesamte Open-Source-Konzept basiere letztlich auf Diebstahl. SCO-Chef Darl McBride beschwört auf einer Konferenz gar das Recht, Software zu verkaufen, wofü ihn Bill Gates lieben wird. Der hatte in den 70ern in einem offenen Brief gequengelt, mit Software müsse man auch Geld verdienen können. Alles riecht derart nach Kampagne, dass Gelassenheit angesagt ist. Doch nun scheinen einige Linux-Jünger die Nerven zu verlieren: Viel deutet daraufhin, dass der SCO-Server durch eine DDoS-Attacke blockiert ist. So wie ein Teil der 68er durchs Establishment marschierte und ein Teil zu Terroristen wurde, könnte sich dieÊ Open-Source-Bewegung an einer Gabelung befinden: Zwischen Geschäft und Cyberguerilla. Die aber wäre eine Katastrophe. Denn ausbaden müssen die politischen Folgen nicht DoS-Spinner, sondern die Dritte Welt, für die GNU/Linux digitale Unabhängigkeit bedeutet.
[nbo / 25. August 2003 ]
heise.de: Raymond ruft zum Abbruch der DDoS-Attacke gegen SCO auf

Blaster oder die Quadratur des MS-Zirkels

Wieder einmal Wurmbefall auf den Windows-Rechnern dieser Welt. Und das, obwohl Bill Gates am "Microsoft Security Day", am 15.1.2002, Sicherheit zur höchsten Priorität erklärt hatte. Dumm nur, dass er zwei Jahre davor die .NET-Architektur für Microsofts Web Services ebenfalls zum Unternehmensziel erklärt hatte. Und dass er irgendwann auch beschlossen hatte, groß ins Spielgeschäft einzusteigen.Ê Wie sich nun zeigt, laufen diese Ziele auf die Quadratur des Zirkels hinaus. Denn um die .NET-Dienste oder die Online-Spiele bequem nutzen zu können, lieferte Microsoft Windows XP nicht mit voll eingeschalteter Firewall aus. Die hätte aber ausgereicht, um Blaster vom eigenen Rechner fernzuhalten. Microsoft tanzt wie immer auf zu vielen Hochzeiten gleichzeitig. Der Gigant will alles – und zwar sofort. Der User allerdings auch. Er hätte den Patch Mitte Juli aufspielen können. Aber das ist Arbeit. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es PC-Unfälle ebenso wie Autounfälle gibt. Egal, wie sicher die Maschine ist: Wenn Schnarchnasen am Steuer/an der Tastatur sitzen, haben wir ein Problem.
[nbo / 19. August 2003 ]

Die Big 5 und die iTunes-Lektion

Morgen startet die Popkomm. Dann werden die großen Label mit t-online wohl ihr angekündigtes deutsches Musikportal aus der Taufe heben. Downloads zum Kaufen und nieder mit den Piraten! Nach bild.t-online.de und heute.t-online.de also auch musik.t-online.de (oder so). Wird dann alles gut für die Musikindustrie? Mein Tip: Auch das wird ein Flop. Weil die Phonoleute das Problem noch immer nicht begreifen. Dabei haben sie mit dem Apple Music Store sogar die Lösung vor Augen. 1) Dieser ist KEINE WEB-ANWENDUNG. Er ist nahtlos in iTunes integriert, also in die eigene Musiksammlung auf dem Mac. Und das macht die Online-Musik einfach, schnell und übersichtlich. 2) Die "Sleeper" unter den Käufern, Hörer, die mit 25 ihren Geschmack abgegeben haben und keine CDs mehr kaufen, können hier EFFIZIENT IN NEUES REINHÖREN. Das können sie nicht im Radio, da läuft nur Schrott, bei WOM muss man anstehen, und das Prelistening bei Amazon etc. ist eine Plugin-Tortur. Anstatt Kids und Twens, ihre alten Melkkühe zu kriminalisieren, könnten die Big 5 so die wirklich POTENTE Kundschaft erreichen – und das Problem wär gelöst.
[nbo / 13. August 2003 ]

Breitseite auf die Nanotech-Szene

Technikfolgenabschätzung klingt ja sehr sinnvoll. Aber praktisch kommt nicht viel mehr dabei raus als einige wortreiche Empfehlungen von Kommissionen und vielleicht noch ein Grenzwert. Kein großes Technikgebiet ist bisher im Ansatz gestoppt worden, selbst wenn Risiken früh erkennbar waren: Nicht die Atomkraft, nicht die Gentechnik, nicht die medizinische Reproduktionstechnik. Entscheidend ist, ob es wirtschaftliche Interessen gibt, die diese Techniken pushen, oder Bedürfnisse von normalen Menschen, die sie erfüllen. Gestoppt werden Technologien nur durch ihr eigenes inhärentes Unvermögen. Das gleiche wird auch für die Nanotechnik gelten – nur weiß noch niemand, was ihr inhärentes Unvermögen wäre. Auch die ETC Group aus Winnipeg, Kanada, nicht. Ihre Kampagne für einen Nanoforschungsstopp, an der sich nun auch Greenpeace beteiligt, ist deshalb zwiespältig. Wenn sie von "Atomtech" statt Nanotech spricht, klingt das zuerst nach Propaganda. Damit wird die Debatte schon vergiftet, bevor sie richtig in Gang gekommen ist.
[nbo / 1. August 2003 ]
km 21.0: Deja Vu - die neue Nanotech-Debatte

Hirn-Outsourcing

Für die meisten ist Mathematik ein Unterfangen zwischen Magie und Idiotie. 1998 "bewies" der US-Mathematiker Thomas Hales, dass die dichteste Kugelstapelung jene Pyramidenhäufchen sind, in denen Obsthändler in aller Welt ihre Orangen stapeln. Kepler hatte das vor 400 Jahren vermutet. Der gesunde Menschenverstand weiß es seit Jahrtausenden. Über vier Jahre haben Gutachter nun versucht, den 250-Seiten-Beweis zu verifizieren, bevor er publiziert wird. Jetzt sind sie "erschöpft", berichtet Nature, und nur zu 99 % sicher, weil sie Hales' Computercode nicht restlos checken können. Der hatte den Beweis nur mit massivem Rechnereinsatz bewältigt: 5000 Kugelpackungen wurden durchgerechnet. Ein weiteres Beispiel für den Übertrend in der Wissenschaft: Das Hirn-Outsourcing. Komplexe Probleme wie Klimasimulationen oder Proteinfaltungen – kurz: die Wirklichkeit – bewältigen nur Rechenknechte. Die Zeiten, in denen fundamentale Wahrheiten "elegant", also knapp formuliert werden konnten – e=mc2! Ð, sind vorbei vorbei. Aber wer die Reformdebatte in Berlin verfolgt, wusste auch das längst.
[nbo / 16. Juli 2003 ]

Begnadete Körper um jeden Preis

Die Gentechnik hat einen neuen Gag: Den "She-male"-Embryo. Biologen um Norbert Gleicher aus New York haben in Experimenten männliche Embryozellen in weibliche Embryos eingefügt. 9 von 21 so erzeugten Zwitterembryonen entwickelten sich allerdings abnorm weiter. Wozu soll das gut sein, werden sich viele fragen. Gleichers Motivation: eine Alternative zum bisherigen Gentherapie-Ansatz finden, an dem am 17.9.99 der Versuchspatient Jesse Gelsinger gestorben war. Natürlich geht es immer ums Heilen. Um diese paar Tausend Gene, die "Defekte" auslösen. Da ist jede noch so absurde Idee recht. Denn wie toll wäre es, wenn endlich alle ohne diese Defekte glücklich leben könnten. Ach? Defekt = Unglück, das wird kaum ein Behinderter gelten lassen. Eigentlich ist diese biotechnische Maßlosigkeit nur so zu erklären: Es winkt der MarktÊ mit unbegrenztem Potenzial – der Mensch im 21. Jh. ist das Rohstofflager seiner selbst. Alle Wahnvorstellungen kommen hier zusammen: totale Kontrolle, Gottgleichheit und Dagobertsche Profite.
[nbo / 4. Juli 2003 ]
'She-male' embryos created in lab
Nicholas Kristof in der New York Times: The New Eugenics

Das Ende der Sternzeit

Mit gut einer Million Sekunden Verzö gerung habe ich die vorletzte Nature-Ausgabe gelesen. Bei folgender Schlagzeile stutzte ich: "Astronomen verteidigen Extrasekunden in Zeitdebatte". Zeitdebatte? Ja, die International Telecommunication Union möchte die 1972 eingeführte Schaltsekunde in der "Universalzeit" wieder abschaffen. Die wurde von Astronomen seitdem jedes Jahr einmal eingeschoben, um der langsamer werdenden Erdrotation Rechnung zu tragen, woran die Anziehungskraft des Mondes Schuld ist. Begründung: Die GPS-Navigation etwa geht bereits 13 Sekunden vor, weil sie sich nach der unkorrigierten internationalen "Atomzeit" richtet. Die Folge könnten Flugzeugabstürze sein, warnt die ITU. Astronomen dagegen sind beim Justieren ihrer Teleskope auf die Universalzeit angewiesen. Man könnte das alles als Witz abtun. AberÊ es verrät etwas über den Charakter der Technosphäre: In ihr gehen die Uhren anders. Sie entwickelt ganz langsam, fast matrix-artig, ihre eigene Raumzeit. Tag und Nacht sind in ihren Metropolen sowieso keine Bezugspunkte mehr. Es geht ums Funktionieren. Wer braucht da noch die Sterne?
[nbo / 24. Juni 2003 ]

Anschlag auf das Koffein

Die "23-Grad-Welt" rückt wieder etwas näher. Eine Welt, in der alle natürlichen Risiken und Unannehmlichkeiten weg-"engineered" sind. Zum Beispiel Koffein, diese Bedrohung der öffentlichen Gesundheit: Japanische Wissenschaftler um Hiroshi Sano vom Nara Institut für Wissenschaft und Technik haben einen Genschalter identifiziert, mit dem offenbar das Gen für die Produktion von Koffein in der Kaffeebohne deaktiviert werden kann. Angenommen das funktioniert - die seit längerem vorherrschende Kombination aus Gesundheitswahn und agrotechnischem Profitstreben, besonders in den USA, könnte bald die Kaffeeernten dieser Welt verseuchen, so wie schon ein beachtlicher Prozentsatz der Sojaernten weltweit genmanipuliertes Material enthält. Eine Welt ohne Koffein! Zigtausende von kreativen Köpfen bekommen die Augen nicht mehr auf, Wissenschaftler schlafen über ihren Gleichungen ein, Manager dösen zuhauf in Verhandlungen weg. Die Welt wäre gesünder – und dröger. Sanos Koffeingen wird den Menschen vor allem Langeweile schenken. Fortschritt, den keiner braucht.
[nbo / 19. Juni 2003 ]
New Scientist: Genetic Engineers Decaffeinate Coffee

Leben in der Matrix 1

Mit zwei Wochen Verspätung habe ich "The Matrix Reloaded" gesehen. Allen, die es noch vorhaben, soviel: Nicht weiterlesen, reingehen und die Verrisse des Feuilletons schnell vergessen. Abgesehen von den ersten 30 Minuten mit Klischee-SciFi-Kulisse (John Difool, Star Wars etc. lassen grüßen) offenbart sich die Matrix in ungeahnten Abgründen. Wir dachten, die Matrix sei ein Versklavungsinstrument böser Maschinen? Kinderkram. Die Matrix ist ihr eigener Akteur, in der auch die Maschinen nur eine Rolle spielen. Sie ist das Unversum selbst. Sie wird bevölkert von autonomen Routinen, die sich gegenseitig bekämpfen – und sie hat mehrere Level. Zion ist nicht die Realität, sondern nur eine Metamatrix. Neo ist nun ein Level höher gegangen, mehr nicht. Jenseits der Matrix gibt es nur Code und noch mal Code. Das Außen ist unerreichbar – also existiert es nicht. Mit den Radikalen Konstruktivisten könnte man auch sagen: Wir sind Gefangene unseres Riesenprozessors Gehirn. Was tun? a) Abschalten (Buddha), b) weiterspielen (Merowinger: "It is only a game").
[nbo / 10. Juni 2003 ]
Zum Nachlesen: Die Dialoge aus "The Matrix Reloaded"
Zum Weiterbrüten: "Exegesis of the Matrix" von Peter B. Lloyd

Elchtests für Intel!

Was war das für ein Gefeixe, als vor Jahren die Mercedes-A-Klasse auf Testfahrten aus der Kurve flog. Dabei war die kurze Kiste doch für die Stadt konzipiert worden, wo man ständig scharf um die Ecke biegen muss. Seit heute ist es offiziell: Auch Intel hat seine A-Klasse – die "Centrino Mobile Technology". Die war vor 2 Monaten als der Durchbruch zum drahtlosen Internet lanciert worden. Es klang so toll: Eingebaute WLAN-Karte, ein stromsparender, hocheffizienter Chip. Kaufen, anschalten, anmelden, lossurfen. Ja, da ist nur eine Kleinigkeit, wie Intel nun einräumt. Centrino MT funktioniert nur mit 5 Virtual-Private-Network-(VPN)-Programmen, und auch nur, wenn man einen speziellen Treiber deaktiviert hat. Dummerweise nutzen gerade Firmen VPNs, um ihre Netzwerke vor Datenschnüfflern zu schützen. Deaktiviert man aber den Treiber, wird die Anmeldung in öffentlichen Hotspots zum Profi-Gefrickel. Ich stelle mir nur mal meinen Vater mit seinem neuen Centrino-Notebook in der DBLounge vor... ;-) Vielleicht sollten sie den Elchtest auch in der Hardware-Branche einführen.
[nbo / 2. Juni 2003 ]
Wired.com: Why Centrino and VPNs Don't Mix

Die Büchse der Pandora

SARS trifft die Welt zu einer Zeit, da die Nerven blank liegen, dank Al-Qaida, 9/11, Bioterrorismus, Irak-Krieg, Rezession... Spekulationen überschlagen sich: Ist SARS ein außer Kontrolle geratener B-Waffen-Versuch, oder kommen diese rätselhaften Coronaviren gar aus dem All, wie der britische Astronom Chandhra Wickramasinghe behauptet? Als Mikro-Independence-Day? Einen schlichteren Gedanken äußert Mae-Wan Ho vom Londoner Institute for Science in Society: Die herkömmliche Biotechnik sei inzwischen so effizient, dass im Labor Evolutionsschritte im Zeitraffer ablaufen kö nnten - mit allen erdenklichen Mutationen, die ein Virus so fremd erscheinen lassen. Um dann ein Outbreak-Szenario zu bekommen, bedürfe es keiner Militärs oder Bösewichte. SARS wäre "nur" ein biotechnischer Betriebsunfall. Solche Möglichkeiten lassen den jeder Paranoia unverdächtigen Astronomen Sir Martin Rees in seinem Buch "Our Final Hour" die Apokalypse an die Wand malen. Wir müssen zugeben, dass wir die Technosphäre weder verstehen noch beherrschen. Wir sind ratlos.
[nbo / 23. Mai 2003 ]
Mae-Wan Ho: Bioterrorism and SARS
"Our Final Hour" von Sir Martin Rees

Wie man aus Müll Geld macht

Eine der absurdesten Entwicklungen ist der Patentwahn. Was früher nie patentwürdig gewesen wäre, wird heute selbstverständlich geschützt und bringt dem Patenthalter nette Lizenzgebühren ein: Algoritmen, Pflanzen, Gene! In der Logik des Informationskapitalismus ganz richtig, denn die Ideen und Konzepte selbst sind das Produkt, nicht ihre Materialisierung. Wichtig ist, dass es sich um eine Erfindung handelt. Eine bahnbrechende Erfindung, die der Welt bisher entgangen war, hat offenbar der neuseeländische Immunologe Malcolm Simons in den 80ern gemacht: die Junk-DNA, also jene Abschnitte des Genoms, die keine Erbinformation tragen. Nicht dass es sie schon seit Millionen Jahren gäbe. Ach was. Simons hat ein Patent darauf angemeldet und erhalten, das inzwischen der australischen Firma GTG gehört. Die kassiert jetzt fröhlich Unis in aller Welt ab, die mit Junk-DNA experimentieren, weil sie in aller Unschuld annahmen, das sei ein Produkt der irdischen Evolution. Und eines Tages müssen werdende Mütter am Eingang des Kreißsaals ein Lizenzabkommen unterschreiben, weil... war nur ein Spaß.
[nbo / 20. Mai 2003 ]
GTG Grants License to University of Utah, Salt Lake City, USA

Moving Digital

Es fing zu einfach an: Ein Anruf bei der Telekom, dass ich mit Telefon und DSL umziehen möchte, und die Hotline sagt "Geht in Ordnung"! 2 Tage vor dem Umzug geht mein DSL nicht mehr. Reklamation bei der Störungsstelle: Zu früh! Dort herrscht Ratlosigkeit: Wie, Sie ziehen um? Au Backe! Am Tag vor dem Umzug wird meine ISDN/Telefonleitung in der alten Wohnung gekappt, genau um 15:00 h. Um 15:11 h ruft die Störungsstelle auf dem Handy an: Ihr DSL geht jetzt wieder. Ich glaub, ich lüge! Am Tag des Umzugs kommt die Telekom und fummelt an der Dose in der neuen Wohnung rum: Ihr DSL geht heute abend wieder.Ê Die DSL-Verbindung bleibt an diesem Abend tot und auch am nächsten Tag (1. Mai, Tag der Arbeit, klar). 2 Tage nach dem Umzug erneuter Anruf bei der Störungsstelle: Mein DSL geht nicht. Antwort: Welches DSL? Ich: Meins. Störungsstelle: Aber sie haben gar keinen Umzug beantragt. Ich beiße in den Hörer. Störungsstelle: Das müssen Sie bei einer anderen Hotline reklamieren. Dort herrschen wieder Ratlosigkeit und Übersprungshandlungen à la "kleinen Moment, ich fahre mal den DSL-Server hoch". Hochfahren? Anschalten! Heute, 5 Tage nach dem Umzug, ist mein DSL immer noch tot. Being Digital? Vielleicht ab Mittwoch. Wahrscheinlich später. Definitiv irgendwann. bo / 5. Mai 2003 ]

Apples Online-Musik-Service: Handwerk statt Kunst

Eigentlich hatten ja alle auf eine Sensation gehofft. Es ist schon so lange her, das Napster-Beben. Würde Steve Jobs das Ei des Kolumbus aus dem Hut zaubern, das den Krieg zwischen Usern/Tauschbörsen und Musikindustrie überflüssig werden lässt? Nein, Apple hat sich fürs Handwerk entschieden. Der neue Music Store ist übersichtlich und nahtlos in iTunes und die iPod-Technik eingearbeitet. Das ist immerhin ein Fortschritt: Ein Klick für Dotmac-User, und der Song-Kauf ist abgewickelt. Keine Formatfragen, kein Kopfzerbrechen wegen des Bezahlmodus, auch kein Abo. So funktioniert das Bezahlmusikgeschäft. Aber das war's auch. Denn Apples Konzept ist das eines Closed Shops. Es ist einmal mehr dieselbe Politik, für die Microsoft seit Jahren Prügel bezieht. Bei Apple soll das aber immer etwas anderes sein. Sicher, Steve Jobs vergaß in San Francisco nicht den Seitenhieb, die Musikindustrie behandle downloadende User wie Kriminelle. Doch am Ende ist Apple ein Konzern wie jeder andere. Und wenn es um Dollars geht, heißt es: keine Experimente. Rip, Mix, Burn? Apple sagt laut und deutlich "Jein". Das reicht nicht: Der Download-Krieg geht weiter.
[nbo / 29. April 2003 ]
Apple Music Store
heise.de: Apple macht Musik

From Cyberspace to Real Space

Elon Musk hat ein Kunststück vollbracht: Als der Cyberspace schon zum Milliardengrab mutiert war, verkaufte er sein Startup im vergangenen Jahr für stolze 1,5 Mrd. Dollar. Paypal war die letzte große Erfolgsstory des Internets. Jetzt macht der Bezahldienst den Käufer eBay noch reicher. Für Musk ist das offenbar nur noch mit einem wahren Griff nach den Sternen zu toppen. Er will mit seiner neuen Firma SpaceX zum ersten Mal ein privates Raumfahrtunternehmen auf die Beine stellen, dass kommerziell erfolgreich ist. SpaceX soll Satelliten billiger als alle staatlichen Behörden in den Orbit bringen. Die Raketentechnik wird nun auf Ineffizienz hin durchforstet, klobige Kabelschächte z.B. durch Ethernet-Verbindungen ersetzt. Am Ende könnte der Cyberspace das ideale Trainingslager für den entscheidenden Sprung gewesen sein, den die alten Kolosse wie die Nasa nicht mehr hinbekommen: hin zu einer neuen Selbstverständlichkeit des Weltraums. Der Columbia-Absturz war das Ende einer Ära - SpaceX könnte der Beginn einer neuen sein.
[nbo / 23. April 2003 ]
Wired News: Net Maverick Sets Sights on Space

SARS - die "Gleichörtlichkeit" der Technosphäre

Der Begriff der "Gleichzeitigkeit" ist durch das Internet revolutioniert worden. Wenn Informationen in Sekundenbruchteilen ohne nennenswerte Kosten um den Globus transportiert werden können, ist überall "jetzt", und ein Gedanke in Tokio kann verzögerungslos ein Ereignis in New York auslösen. Die Kehrseite: Computer-Viren, also Informationsparasiten, agieren plötzlich überall und Jetzt. SARS, ein "echtes" Virus, zeigt nun nach AIDS oder der Rückkehr der Tuberkulose, dass die neue Technosphäre sich auch in Richtung einer "Gleichörtlichkeit" bewegt. Ein Krankenhaus in Hongkong liegt aufgrund des billigen - wenn auch noch nicht kostenlosen - globalen Transportnetzes in unmittelbarer Nachbarschaft von Hamburg-Fuhlsbüttel. Dieser Gedanke ist zwar schon in der Sciencefiction-Literatur gewälzt worden, in der Öffentlichkeit noch nicht richtig angekommen. Die Globalisierung schafft mit der Technosphäre auch ein Weltökosystem, dass die reale Biosphäre überlagert. Die Epidemien, die die Europäer in Amerika und Polynesien auslösten, werden sich im 21. Jh. noch einmal wiederholen.
[nbo / 17. April 2003 ]
DLR: Tropenkeime per Luftfracht – was kommt nach Influenza, Malaria und SARS?

An der Schwelle zum Venter-Sprung

Das "Buch des Lebens", das menschliche Genom, ist fertig durchbustabiert. 3 Jahre nach der Beta-Version und 50 Jahre nach der Entdeckung der Doppelhelix-Struktur durch Watson und Crick. Der konzeptionelle Durchbruch war aber schon Ende der 40er dem Mathematiker John von Neumann gelungen, als er einen "universellen Selbst-Kopierer" entwarf. Dessen Bestandteile sind: ein Bauplan (= die DNA), ein Kopiermechanismus (= die Zelle) und ein Konstrukteur (= der Organismus). Der Clou daran war, dass der Bauplan vom Konstrukteur nicht nur gelesen und ausgeführt, sondern gleichzeitig auch als Kopie weitergegeben wird. Auf diese banal anmutende Idee war bis dahin niemand gekommen. Craig Venter, der Mann, der die Genomentschlü sselung zum medienwirksamen Rennen machte, hält sich nun nicht damit auf, die Bedeutung des Genoms zu enträtseln. Er will ein künstliches zusammenbauen, er will einen neuen "Selbst-Kopierer" in die Evolution setzen - der keinem natürlichen Konstrukteur entstammt. Das wäre der radikalste Sprung, den das Leben auf diesem Planeten seit Milliarden Jahren gemacht hat. Seine Bedeutung können wir nicht einmal erahnen.
[nbo / 14. April 2003 ]
Wired News: Human Genome Map Complete

Ein Klonverbot der ganz anderen Art

Für alle, die den Klonfanatikern vom Schlage eines Severino Antinori oder der Raelianer-Sekte misstrauen, gibt es eine vorläufige Entwarnung: Primaten lassen sich nach neuesten Forschungsergebnissen nicht klonen. Eine Gruppe von Medizinern der University of Pittsburgh versucht seit einigen Jahren, Rhesus-Affen zu klonen. Bisher vergeblich: "Es gibt ein molekulares Hindernis", gestand Leiter Gerald Schatten nun ein. In einer Reihe von 716 Versuchen gingen offenbar während des Klonvorgangs jedes Mal einige entscheidende Proteine verloren. Die Folge war, dass die Chromosomen der Rhesus-Embryos völlig durcheinander gerieten, der genetische Code sich zu biologischem Unsinn entwickelte. Bei Kühen, Schafen, Mäusen tritt das Problem nicht auf. Natürlich kann man sicher sein, dass jetzt diverse Biotechniker alles daran setzen, den Fehler zu finden. Aber es ist eine beruhigende Pointe, dass im Reagenzglas eine Art chromosomale Unschärferelation gilt - je fragwürdiger die Absicht, desto absurder das Genpuzzle. Die Wissenschaft ist um eine vorläufige Grenze reicher.
[nbo / 10. April 2003 ]
New Scientist: ÊHuman cloning currently 'almost impossible'

Gandhi Digital

Die neue McCarthy-Ära ist längst angebrochen. "Wer nicht für uns, ist gegen uns", diese Maxime hat George W. Bush deutlich genug herausgestellt. "Total Information Awareness" soll "die dagegen" ausfindig machen. Das ist schon beunruhigend. Viel beunruhigender ist das Ergebnis eines Meetings der User Log Data Management Working Group am Rande der Computer, Privacy & Freedom Conference in New York: Das größte Privacy-Leck sind die ganz gewöhnlichen Server Logs, in denen festgehalten wird, welcher Rechner wann mit welcher IP-Adresse auf eine bestimmte Site zugegriffen hat. Forscher der Carnegie Mellon University haben einen Algorithmus vorgestellt, der Surfer doch aus diesen verstreuten Datenspuren rekonstruieren kann. Lange Zeit hatte man das für unmöglich gehalten. Gibt es eine Schutzstragie? Ja, zumindest hierzulande: die eigenen Daten total offenlegen, denn das Wettrüsten aus Datenspionage und neuen Krypto-Tarnkappen zerstört die Grundidee des Netzes. Diesen Kampf können auch die Privacy-Advokaten nicht gewinnen. Wenden wir Gandhi aufs Netz an, um es zu bewahren!
[nbo / 7. April 2003 ]
The Register: The trails left in Web server logs

Collateral Damage: Der Cyberspace ist nicht unteilbar

Seit Jahren haben Regierungen in aller Welt sich maßlos darüber geärgert, dass politische Grenzen im Netz nicht durchzusetzen sind. Der Ausbruch des 3. Golfkrieges zeigt nun leider, dass der Cyberspace sehr wohl teilbar ist: So weigerte sich ein amerikanischer Ebay-Anbieter, seine Ware einem höchstbietenden Kunden aus Kanada zu verkaufen, weil die Kanadier der US-Aggression skeptisch bis ablehnend gegenüber stehen; so versuche ich seit Montag vergeblich, die englische Seite von Al Jazeera aufzurufen, die wiederholt gehackt wurde und im Zuge von Passwortänderungen beim Registrar NSI dann gleich ganz aus dem Netz abtauchte. NSI beeilte sich zu versichern, das sei allein Al Jazeeras Problem gewesen. Wie auch immer, es gibt plötzlich auch ein ANDERES Flussufer im Netz. Wer den Fluss überqueren will, wird daran gehindert, wer ihn überquert hat, geächtet. Soviel zur grenzenlosen Freiheit des Cyberspace. Hatte das Internet bei 9/11 schon kurzzeitig versagt, damals allerdings technisch, versagt es jetzt erneut, in dem Anspruch einen schrankenlosen Informationsraum darzustellen. Und diesmal aus politischen Gründen! Traurige Tage sind das.
[nbo / 28. März 2003 ]

Buena Vista Communication Club

Während wir uns den Kopf zerbrechen, ob wir nicht vielleicht ein Zweithandy nötig haben, ja und PDA-Funktionen sollten ja auch drin sein, und dann: lieber GPRS, UMTS oder Wifi..., währenddessen existieren noch weitgehend handyfreie Länder auf diesem Planeten. Kuba zum Beispiel. Da piept nichts auf der Straße oder im Laden, keine dieser unsäglichen 3-Ton-Melodien, es ist alles noch so wie damals. Telefone schrillen in Hauseingängen wie in alten Schwarz-Weiß-Thrillern. Das einzige Mal, als ich mich durchgerungen hatte, eins der ganz wenigen Internet-Cafes (in der Stadt Trinidad) aufzusuchen, hieß es, wie im Sozialismus nicht unü blich: "No hay conneccion." Es gibt keine Verbindung. No hay! Also gingen wir wieder in die Nacht zurück und tranken noch einen Mojito. Und irgendwie fehlte nichts. Diese künstliche Aufgeregtheit, die Jagd nach der schnellsten Meldung entpuppte sich als unerheblich: Die Situation in der Irakkrise war nach 3 Wochen Offline-Zeit in einer karibischen DDR noch dieselbe. Nur die selbstreferentielle Medienblase ist etwas gewachsen. No hay Informationsfortschritt. Oder?
[nbo / 11. März 2003 ]

Weniger Hertz, mehr Innovation!

In zwei Wochen öffnet die Cebit ihre Pforten. Und tatsächlich gibt es dieses Mal einige Innovationen zu sehen - etwa Intels Pentium-M (auch als "Banias" bekannt). Das Innovative am jüngsten Pentium-Spross ist allerdings nicht etwa, dass er die nächste Marke auf der nach oben offenen Gigahertz-Skala erreicht, sondern dass endlich einmal ein Prozessor den Realitäten im Arbeitsalltag angepasst wurde. Sprich, er verbraucht nur einen Bruchteil der Energie seines Vorgängers und entwickelt wesentlich weniger Hitze. Die Folge: Notebook-Fans dü rfen sich auf Geräte freuen, die durch geringes Gewicht und kompakte Maße anstatt durch nervige Lüftergeräusche auffallen. Und das, obwohl der Pentium-M ähnlich schnell ist wie aktuelle Mobile-Pentium-4-Chips. Allerdings fordert dieser Fortschritt Tribut: Die neuen Chips sind nur noch mit maximal 1,6 Gigahertz statt der zur Zeit möglichen 2,4 Gigahertz getaktet. Weil Intel seinen Kunden aber in den letzten Jahren mit viel Marketing-Power weisgemacht hat, dass Gigahertz = Geschwindigkeit bedeutet, um die nominell langsamere Konkurrenz zu diskreditieren, droht der Pentium-M erst einmal zum Ladenhüter zu werden. Man darf gespannt sein, wie Intel das Problem löst.
[jue / 27. Februar 2003 ]

Neue Einnahmequellen für die Cebit

Der Cebit geht es schlecht: Gestern haben die beiden Softwareriesen Adobe und Corel erklärt, sich die Cebit dieses Jahr verkneifen zu wollen. Offiziell heißt es, man plane fü r dieses Jahr "branchennähere Events". Inoffiziell – das weiß jeder – sind den beiden Companies natürlich die Kosten für das Hannoveraner IT-Spektakel zu hoch. Insgesamt denken etwa 1.400 Ausstellern so – nach rund 7.900 Ständen im letzten Jahr werden in diesem Jahr gerade einmal 6.500 erwartet. Und statt 674.000 Besuchern rechnet die Veranstalterin Deutsche Messe AG nur noch mit 600.000 - "wenn überhaupt". Arme Deutsche Messe AG – etwas später als alle anderen bekommt sie jetzt zu spüren, dass die Boomzeiten endgültig vorbei sind. Ein Glück, dass sie rechtzeitig für schlechte Zeiten vorgesorgt hat – auf den Internet-Seiten der Messe prangt seit einigen Tagen ein riesiges Ebay-Werbebanner. Damit lassen sich wenigstens ein paar Cent verdienen.
[jue / 7. Februar 2003 ]
CeBit Homepage

Der letzte Tag der neuen Welt

"It feels like 9/11", hat der Mann der toten Columbia-Astronautin Laurel Salton gesagt. Das ist mehr als eine Floskel. Der Absturz ist das Ende einer Raumfahrt-Ära, so wie 9/11 auch ein Wendepunkt der Geopolitik war. Als ich 14 war, las ich begeistert Jesco von Puttkamers "Der erste Tag der neuen Welt", das Buch über den neuen Space Shuttle Columbia. Natürlich glaubte ich, dass die Raumfähre einen Aufbruch markiert. Inzwischen ist längst klar, dass der Shuttle ein Auslaufmodell ist, Teil des Raketenzeitalters der Raumfahrt, das auf teurer Einweg-Technologie und Kolonisierungsphantasien für den Weltraum beruhte. Auch die Internationale Raumstation ist ein Produkt dieses Denkens, ein Anachronismus in instabilem Orbit, der der Wissenschaft kaum nützt. Die Zukunft der Raumfahrt wird pragmatischer sein: Sie wird den Robotern gehören. Die langweilen sich nicht auf dem Weg durchs Sonnensystem, und für blöde Klempner- und Aufräumarbeiten im erdnahen Weltraum - dem äußersten Teil der Technosphäre - sind sie auch besser geeignet. Der Mensch kann da draußen ohnehin nicht existieren. Er bekommt nur Muskelschwund. Der 1.2.2003 war der letzte Tag der neuen Welt.
[nbo / 3. Februar 2003 ]

Der Countdown zum digitalen GAU läuft

Die Systemadministratoren in aller Welt atmen auf. Die Slammer-Wurmplage ist abgeflaut, nachdem eine Viertelmillion Server befallen worden waren. Und jetzt lehnen wir uns wieder bequem zurück bis zum nächsten Mal. Es hat ja keine User getroffen. Richtig? Falsch. Slammer ist Teil des neuen Virentrends: Es geht nun an die Substanz des Netzes. Die Zeit der Halbstarkenwitzchen, in Code gegossen, um Büroarbeiter zu nerven, Frauen zu beindrucken oder was auch immer, geht zuende. Die neuen Würmer gehen effizient gegen die Rechner vor, die den globalen Datenverkehr erst ermöglichen. Ihr Ziel: Das Netz in die Knie zu zwingen. Code Red war der Wendepunkt, der erste, der dieses Konzept in die Tat umsetzte. Das Alarmierende an Slammer ist, dass man diesmal nicht Microsoft die Schuld in die Schuhe schieben kann – sie hatten ihren Patch vor Monaten veröffentlicht –, und dass es in dem sehr kompakten Code keine Hinweise auf den Absender gibt. Mag sein, dass in einigen Tagen die derzeit obligatorische Al-Qaida-Spur enthüllt wird. Davon sollten wir uns nicht täuschen lassen. Es gibt da draußen Leute, die den digitalen GAU planen. Dagegen wird 9/11 harmlos sein. [nbo / 30. Januar 2003 ]

Au revoir, Paybox!

Jetzt geht es der Internet-Wirtschaft an die Substanz: Letzte Woche verkündete die Paybox AG überraschend, dass sie ihren Endkundenservice einstellt. Paybox war das wohl sicherste Bezahlsystem, das es hierzulande im Internet gab. Wo immer man zur Kasse gebeten wurde, gab man einfach seine Handy-Nummer an, bekam einen Rückruf und bestätigte die Transaktion durch die Eingabe seiner PIN. Das Geld wurde automatisch vom Girokonto an den Empfänger überwiesen. Einfacher ging es nicht. Sicherer wohl auch nicht, weil zwei getrennte Netze - das Internet und das Handynetz - zugleich ins Spiel kamen. Bereits eine Million Kunden hatten sich am Ende für den Dienst angemeldet und berappten 10 Euro im Jahr dafür. Wenn das kein Erfolg ist! Doch offenbar hat es nicht gereicht: Im November zog sich die Deutsche Bank - bis dahin im Besitz von 75 Prozent der Anteile - aus der Paybox AG zurück. Und weil sich kein neuer Investor finden ließ, war jetzt über Nacht Schluss. Ein herber Schlag für die gesamte Internet-Wirtschaft - sie muss auf eine wichtige E-Währung verzichten. Und wahrscheinlich auch auf ein paar Kunden, die sich an das sichere Bezahlen mit Paybox gewöhnt hatten.
[jue / 27. Januar 2003 ]

Kein Zugriff aufs Jenseits!

Der dmmv hat eine Pressemitteilung geschrieben. Ein neues Portal wird präsentiert: der-friedhof.info, friedhofsgaertner.biz... (insgesamt 4 Domains für das Portal). Das ist doch mal was in diesen tristen Vorkriegstagen. Man fühlt sich fast an den guten alten Hype von vor 2000 erinnert, als jeder Internetfurz euphorisch beworben wurde. Ich klicke mal hin. Eine metallische Stimme begrüßt mich: "Herzlich willkommen", sie klingt so unwirklich wie aus dem Jenseits. Auf der Seite dann News über Friedhöfe in NRW. Ich beteilige mich an einer Umfrage, wie ich bestattet werden will. "Friedwald", was ist das denn? Im Wald unter Bäumen wie Eichendorffs Taugenichts vielleicht? Das gefällt mir nicht schlecht. Weiter komme ich dann nicht. Der Rest ist ein geschützter Bereich - für die Friedhofscommunity. Na dann melde ich mich doch mal im Jenseits. Die Anmeldung schlägt fehl. Irgendwie klappt da was mit dem Passwort nicht. "Zugriff verweigert"! Hätte mich ja auch gewundert. Hab noch viel vor. Das Jenseits kann warten.
[nbo / 25. Januar 2003 ]
Portal "Der Friedhof"

Open Windows - eine Finte?

Eigentlich ist es eine Sensation: Microsoft will seinen Windows-Quellcode für Regierungen und Behörden öffnen. Nur Schurkenstaaten dürfen ihn nicht sehen. Was ein jahrelanger Antimonopol-Prozess nicht vermochte, schafft die Konkurrenz von Linux, das sich wegen seiner Offenheit und geringen Installationskosten bei Staatsapparaten immer größerer Beliebtheit erfreut. Dass den Redmondern Linux nicht geheuer war, zeigen die firmeninternen "Halloween"-Papiere, die im Netz kursieren. Trotzdem sollte man einen Moment innehalten: Warum gerade jetzt? Gibt es irgendeinen nicht so offensichtlichen Grund? Ja. 4 Buchstaben. TCPA. Diese Initiative von Microsoft, Intel und Hewlett Packard hat sich vorgenommen, PCs schon auf Hardware-Ebene sicherer zu machen. Was toll klingt, könnte aber das Wintel-Monopol ganz zementieren: nämlich über Lizenzen, die Software-Hersteller für TCPA-Konformität zahlen müssen. Im Netz kreist bereits die These, TCPA sei der Tod für Open Source. Dann könnte sich Microsoft sogar Transparenz leisten - und nebenbei dafür feiern lassen.
[nbo / 15. Januar 2003 ]
Financial Times: Microsoft to reveal code for Windows free

Das Ende der Entertainment-Bronzezeit

2003 wird nicht mehr über das Internet geredet. Es ist einfach da. Geredet wird wieder über den Spaß: Film und Musik. Davon können die Leute nicht genug bekommen, und plötzlich ist wieder ein Markt mit Wachstumspotenzial da. Schaut man sich die Neuheiten, das Branchenraunen der CES in Las Vegas an, bekommt man fast den Eindruck, wir befänden uns gerade am Ausgang der Entertainment-Bronzezeit. Bedingt durch inkompatible Medientechnologien, die Trennung in IT und Unterhaltungselektronik, barocke Vertriebskonzepte der Konzerne, war das Video oder die CD, die man gerade wollte, ausverkauft, verliehen, zu teuer oder nicht abspielbar. Die Verheißung ist nun: Ihr könnt künftig alles haben, wann und wo immer ihr wollt. Formate, Kabel, Plattformen? Das war gestern. Jetzt kommt ein Medienschlaraffenland aus WLAN-vernetzten Audio/Video-Servern mit Festplatten-Recording und Timeshift Streaming etc. Kurzsichtig, wie Profitstreben nun mal macht, hat die IT-Industrie damit ein Todesurteil ausgesprochen: über die Medien, wie wir sie kennen. Denn die User werden das Copyright dann endgültig in die Tonne treten. Napster war ein Witz dagegen.
[nbo / 13. Januar 2003 ]

iAutoradio

Radiohören in Hamburg ist eine Zumutung. Kurvt man im Auto durch diese tolle Stadt, muss man sich von übelsten Rotationen, Blödrock und Oldies berieseln lassen. Die Kassetten von damals hat man schon tausend mal gehört - was tun? Ach könnte man doch einen MP3-Player in einen Radiosender verwandeln. Man kann. Ein neues Aufsteckmodul, iTrip genannt, das auf der Macworld in San Francisco vorgestellt wurde, sendet die MP3s auf einer frei wählbaren UKW-Frequenz mit knapp 10 Metern Reichweite ins Autoradio. Das haut mich wirklich um. Ich stelle mir vor, was demnächst an Ampeln passiert. Im Auto nebenan dreht eine Frau am Sender, weil wieder nur Schrott läuft. Kommt genau ins Hitmix ihres Nachbarn. Er lächelt ihr wissend zu. Sie lächelt zurück. 20 Sekunden später geben alle Gas, und der Song verschwindet im Rauschen. Am nächsten Tag schaltet sie eine Anzeige: "Wir standen gestern an der Ampel, und im Radio lief gerade dieser irre Song. Mail mir..." Geschichten, die der "Digital Lifestyle" schreiben wird. Das Teil wird 35 Dollar kosten und im Frühjahr rauskommen.
[nbo / 10. Januar 2003 ]
Griffin Technology: iTrip

Bei Anruf Strg-Alt-Entf

Stolz verkündet T-Mobile dieser Tage, dass es ab März ein neues Smartphone in die Läden bringen will - auf Basis der Windows Edition für Smartphones. Für Microsoft ein Grund zum Feiern, ist die Bonner Telekom-Tochter doch das erste Unternehmen hierzulande, das das große Wagnis eingeht. Denn ein Wagnis ist es wirklich: In Großbritannien, wo Konkurrent Orange das erste Windows-Handy der Welt auf den Markt gebracht hat, musste Microsoft bereits eine blutige Nase einstecken. Das Orange SPV beherbergt so viele Fehler, dass zahlreiche "early adaptor" das Gerät enttäuscht zurückgeschickten. Kein Wunder: Wer wissen will, warum die GPRS-Datenübertragung nicht reibungslos funktioniert, dem erteilen hilflose Orange-Mitarbeiter an der Hotline nur den gut gemeinten Rat, das Gerät einmal aus- und wieder anzuschalten. Wie man es halt mit jedem Windows-Gerät mache! Für T-Mobile mag man hoffen, dass Microsoft aus dem britischen Betatest gelernt und seinen jüngsten Betriebssystem-Spross kräftig überarbeitet hat. Sonst heißt es demnächst im D1-Netz: "Dieser Anschluss ist vorrübergehend nicht zu erreichen - der Teilnehmer bootet gerade sein Handy!"
[jue / 10. Januar 2003 ]

Fehlstart 2003

Der 9/11-Sicherheitswahn treibt immer schlimmere Blüten. Ein Telepolis-Forumsteilnehmer ergeht sich in beißendem Sarkasmus, vielleicht auch Antiamerikanismus - und schon folgen Klage, Strafbefehl über 1500 Euro, Verhandlung morgen am 8.1. Beweismaterial liefert t-online, das im Unterschied zu den meisten anderen Providern die Verbindungsdaten seiner Nutzer 80 Tage speichert. So viel als kleiner Vorgeschmack auf das, was uns blüht, wenn das Teledienstedatenschutzgesetz im Sinne der Content-Produzenten geändert wird. Der Freundin ein MP3 von einer neuen CD geschickt, dem Freund einen Hinweis auf Ungereimtheiten in Bushs Politik samt despektierlichem Kommentar. Und schon droht Post vom Provider, deinem Online-Blockwart. Das idiotische Somm-Urteil vor ein paar Jahren konnte man noch als Ignoranz gegenüber einem neuen Medium abtun. Das zieht jetzt nicht mehr. Aus Protest möchte ich hier schon mal ein paar verdächtige Worte loswerden: ich BIN ein langSCHLÄFER, der sich beim EntLADEN des Kofferraums übernommen hat. Zum Wachwerden lege ich erst einmal eine ANTHRAX-Platte auf...
[nbo / 7. Januar 2003 ]
telepolis: Engine of Justice

The World Is Not Enough

Möglich, dass Weihnachten 2002 als Datum in die Geschichte eingehen wird, an dem die Menschheit aus eigener Kraft einen Seitensprung der Evolution wagte: indem der erste geklonte Mensch auf die Welt kam. Vielleicht ist die Erklärung der Raelianer-Sekte auch nur Horror-PR. Sicher ist aber: Klonkinder werden kommen. Die Technosphäre schließt längst das Genom ein, und beim Umbau der Welt macht der Homo faber, der keine Grenzen der aus Jahrmillionen ererbten Natur akzeptieren kann, vor sich selbst nicht halt. Zwar ist Klonen die ultimative Form der Langeweile, weil nichts Neues entsteht und nur Eitelkeit bis zum Exzess gepflegt wird. Aber wir werden uns auch daran gewöhnen - müssen. Ob das Klonen ein Seitensprung der Evolution bleibt - was schwerstens zu hoffen ist -, entscheiden nicht wirkungslose Verbote, sondern die Evolution selbst. Einiges spricht dafür, dass Klone keine robusten Wesen sein werden. Das ist eigentlich die ganze Hoffnung all derer, die Klonen ablehnen. Geben wir zu, dass wir es nicht verhindern können - so hart diese Erkenntnis ist.
[nbo / 28. Dezember 2002 ]

Der Rausch des Beta-Testers

Komisch, ich habe keine Rechner zusammengelötet, als ich 12 war, nie einen Technikrausch gehabt. Jetzt sammeln sich die dollsten Spielzeuge in meiner Wohnung, die Verpackungen stapeln sich in der Küche. Ein TV-Tuner, der das iBook zum Fernseher und Harddisk-Video-Rekorder macht, ein phantastischer Sony-Beamer für das ultimative Heimkinoerlebnis, ein iPod (schon fast gewöhnlich), diverse Handys... Als ich dank Airport-Karte in Hamburgs erstem WLAN-Hotspot an der Alster gleich auf der Pressekonferenz lossurfen kann, freue ich mich wie ein Schneekönig. Kein Zweifel, ich bin angefixt. Und werde unduldsam. Die Modem-Erfahrung macht mich krank, mein altes Mini-Motorola-Handy, das mal der letzte Schrei war, nervt wegen seiner schlechten Usability. Wie wichtig sind all diese Technologien, frage ich mich? Wie kommt es, dass ich mir nicht mehr die Tage vor dem WWW vorstellen kann? Die ganze Technowelt ist nur geliehen, ich kann sie mir nicht leisten, sie kostet Tausende von Euros. Dass ich auf der vorderen Seite des digitalen Grabens bin, ist das Glück des Testers. Mehr nicht. Will, nein kann ich noch zurück?
[nbo / 18. Dezember 2002 ]

Leviathan des Dataminings

Google wird langsam unheimlich. Die Suchmaschinenleute haben ständig brillante neue Ideen, und die nicht zuletzt, weil sie sich bei ihren Usern umhören. Nachdem wir neulich Google News bestaunt hatten, bin ich jetzt hin und weg von Google Webviewer. Das Durchblättern der Suchergebnisse in einer Art Slide Show erleichtert die eigene Auswahl relevanter Sites noch einmal deutlich, weil mit einem Blick klar wird, ob es sich um einen Forumsbeitrag, eine Uniseite oder eine kommerzielle Site handelt - ohne dass man die Seite erst aufrufen muss! Doch hier und bei anderen Diensten wie Froogle (Produktsuchmaschine) und Google Webquote (Einblendung von Bewertungen einer Site durch Dritte) wird klar: Google wird zum "Apple-Microsoft-Leviathan" des Dataminings. Apple, weil die Lösungen unglaublich verständlich, elegant und innovativ sind. Microsoft, weil Google schon kursierende Konzepte "berührt". Der Viewer etwa erinnert sowohl an Metabrowser als auch an die Netzpiloten. Da ziehen dunkle Wolken auf.
[nbo / 15. Dezember 2002 ]
Google Viewer
Google Webquotes

Die Kernschmelze in der Globalisierung

Bilder der Anti-Nachrüstungsdemos Anfang der 80er waren uns schon wie Dokumente einer weit entfernten Zeit vorgekommen. Damals, als die atomare Bedrohung viele in schleichende Panik versetzte. Dann kamen Gorbatschow, das Ende des Ost-Blocks und des Wettrüstens. In diesem Jahr vereinbarten die USA und Russland eine weitere umfangreiche Verschrottung von nuklearen Sprengköpfen. Doch jetzt droht das zweite atomare Zeitalter. Die taktischen Atomwaffen werden rehabilitiert, wie aus einem Papier der Bush-Regierung hervorgeht. Ein "Mini-Nuke" über Bagdad, über Pjöngjang, über Tripoli ist eine Option für die US-Sicherheitspolitik. Offiziell verkauft als Vergeltung für Angriffe mit Massenvernichtungswaffen, z.B. mit Anthrax-Sporen. Die tauchten vor einem Jahr in amerikanischen Briefkästen auf, und vieles deutet daraufhin, dass sie aus einem US-Labor stammen. Für Trittbrettfahrer wird die Verlockung noch größer: Noch nie waren die Chancen so groß, mit einer Attacke aus persönlichem Frust einen Nuklearschlag irgendwo auf dem Globus auszulösen. Auch das ist Globalisierung 2002.
[nbo / 11. Dezember 2002 ]
Spiegel Online: USA drohen mit atomarem Gegenschlag

Haben Sie Krebs TM?

Die Bedeutung der Sprache zur Manipulation einer Gesellschaft ist einer der faszinierendsten Aspekte in Orwells "1984", der hinter den plastischeren "Televisoren" und dem Terror des Parteiapparats leider ein wenig untergeht. Wie immer ist die Realität auch hier subtiler und grotesker. Heute werden Wörter nicht von einem Informationsministerium bearbeitet, sondern von windigen Unternehmen per Markenrecht okkupiert. Ein Berliner ist jetzt bei dem seltsamen Versuch gescheitert, kopfschmerz/gastronomie/krebs/brustkrebs.info auf juristischem Wege dem bisherigen Besitzer der Domains abzuluchsen. Die Schiedsstelle der WIPO hat eine entsprechende Klage zurückgewiesen. Richtig. Nun ist dieser Fall eher zum Lachen. Aber er erinnert wieder einmal daran, dass eben nicht nur Bürgersteige privatisiert werden, sondern schleichend auch die Sprache. Wer kann noch "windows" aussprechen, ohne an Bill Gates oder Microsoft zu denken? Und wie artikuliert man das Trademark-Zeichen dahinter? Als arabischen Knacklaut? Als südafrikanischen Schnalzlaut? Meine Gedanken schweifen aus dem ---
[nbo / 5. Dezember 2002 ]

Suspicion breeds confidence

Spam ist ein großes Ärgernis. Aber vor lauter Eifer, diese Pest des Informationszeitalters auszumerzen, schießen einige Dienste mit Kanonen auf Spatzen. Vorhin habe ich eine Partyeinladung an etliche Bekannte geschickt, darunter etwa 20 web.de-Adressen. Was passierte? Die Einladung an die web.de-ler kam zurück: "Access denied". Offensichtlich ist ein Betreff wie "forget 2002" (das Party-Motto) und ein Absender mit ".com" verdächtig. In diesem Jahr, das man wirklich besser vergessen sollte, blüht die totale Paranoia. Alles ist verdächtig. Eine Kultur des Misstrauens entwickelt sich, angefacht von autoritären Terroristenjägern ebenso wie von gutmeinenden Bürgerrechtlern. Beide bekämpfen Information, da wo sie zur Waffe zu werden droht. Computer sind dabei keine Hilfe: Auch im Jahr 2002 ist kein Filter in der Lage, eine Partyeinladung von einem verkappten Pornoangebot zu unterscheiden. Die Informationsrevolution erstickt an sich selbst. "Suspicion breeds confidence" hieß es im Film "Brazil" zynisch. Dieser Geist hat leider auch das Netz infiziert.
[nbo / 4. Dezember 2002 ]

Neues Spiel, neues Glück

Dass der ehemalige Mobilcom-Chef Gerhard Schmid ein Spieler ist, wissen wir spätestens seit seinem Streit mit France Telecom. Als öffentlich wurde, dass sich der ehemalige Geschäftspartner aus dem deutschen UMTS-Geschäft und damit auch aus Mobilcom zurückziehen wollte, begann Schmid das Zocken. Wochen lang hielt er mit immer neuen Forderungen an die Franzosen Mobilcom-Aktionäre und -Mitarbeiter in Atem: Um möglichst viele seiner Schäfchen ins Trockene zu bringen, nahm er sogar die drohende Pleite seines einstigen Vorzeige-Unternehmens in Kauf. Die Aktie fuhr Achterbahn, Banken mussten fällige Kredite immer wieder stunden und sogar der Staat sprang schließlich mit einer Bürgschaft für das angeschlagene Unternehmen in die Bresche. Die Risiko-Strategie war erfolgreich – Schmid konnte FT ein Zugeständnis nach dem anderen abringen. Wen wundern da seine neuesten Zukunftspläne? Laut Focus plant er, eine Lottogesellschaft mit dem Namen "Super Tipp 49" zu gründen. Eines hat Schmid schließlich gelernt: Mit Zocken lässt sich Geld verdienen.
[jue / 1. Dezember 2002 ]

Die Seite zur Erkenntnis des Universums, des Lebens und überhaupt

Seit ein paar Tagen bin ich süchtig. Süchtig nach "Turn". Ich spiele es zwischendurch, beim Telefonieren und kurz vorm Einschlafen auch noch mal. Eigentlich ist es nur eine Anordnung von Drehkreuzen in einer Pseudo-3D-Darstellung: Schwingt man eins durch einen Klick herum, dreht es vielleicht das Benachbarte weiter, das wieder eins anstößt usw. Der Punkt ist, dass man nicht weiß, wieviele Drehungen der eine Klick auslöst. Zugrunde liegt ein simples Set von Regeln, aber das Ergebnis ist nicht vorhersagbar. Das ganze ist angewandte Chaostheorie, fast eine Simulation der Evolution. Mal gibt es einen Sturm von Rotationen wie die Artenexplosion im Kambrium vor Milliarden von Jahren, und wenige Sekunden später ebbt die Welle der Drehungen ohne erkennbaren Grund jäh ab. Als ob ein großes Artensterben eingesetzt habe - ohne jede äußere Einwirkung. Möglicherweise sind die Dinosaurier doch ganz von selbst ausgestorben. "Turn" ist eine noch bessere Antwort als "42".
[nbo / 29. November 2002 ]
Turn - das Spiel. Vorsicht, Suchtgefahr!

Feldwege fürs Landvolk

Die Regulierungsbehörde hat wieder einmal Lizenzen an die deutschen Mobilfunk-Betreiber verteilt. Allerdings nicht für irgendeinen neuen Highspeed-Internet-Standard, sondern für GSM – jenen guten alten Standard, auf den wir in der mobilen Kommunikation schon seit Jahren vertrauen. Im Klartext: Die deutschen Mobilfunk-Gesellschaften glauben immer weniger an den vermeintlichen Heilsbringer UMTS und haben daher eine Verlängerung für ihre alten Mobilfunklizenzen bis 2009 beantragt. Denn anstatt die ganze Republik mit neuen Sendemasten zu bepflanzen, wollen sie angesichts knapper Kassen und riesiger Schuldenberge jetzt nur noch das Nötigste in UMTS investieren. Und das hat die Regulierungsbehörde bei der UMTS-Lizenzvergabe klar definiert: Bis Ende 2005 müssen ihre Netze gerade einmal 8,5 Prozent der Fläche Deutschlands abdecken. Außerhalb der Ballungsräume wollen die Unternehmen daher auch weiterhin mit GSM-Masten funken – weil sich (hört, hört!)Ê der Aufbau der UMTS-Netze dort nicht rentiere. Jetzt ist es also raus: Für viele Deutsche wird es auch kü nftig keine mobilen Auffahrten auf die Datenautobahn geben, sondern nur schnöde, holprige GSM-Feldwege.
[jue / 25. November 2002 ]

Kupferabbau im Informationszeitalter

Dieses Durcheinander von Festnetz- und Mobiltelefonen braucht kein Mensch. All die Geräte, die Nummern, die verschiedenen Tarife. Werden wir in 20 Jahren POTS, the plain old telephone system, endlich los sein? In Argentinien helfen sie der Entwicklung zu einer Wireless World auf sehr unkonventionelle Weise nach: Die Leute klauen in großem Stil die Telefonleitungen. Dort ist die wirtschaftliche Situation inzwischen so unterirdisch, dass es sich lohnt, das Kupfer aus den Kabeln als Rohstoff zu verkaufen. Die argentinische Telefonica schätzt, dass 700 Tonnen Kupfer "gewonnen" wurden und eine halbe Million Menschen deshalb eine tote Leitung haben. Damit wird auch der Anstieg des Kupferexports um 16,5 Prozent im ersten krisengeschüttelten Halbjahr 2002 erklärt. Die drahtlose Informationsgesellschaft wird manchmal auf Wegen erreicht, die in keinem Branchenplan auftauchen. Es zeigt aber auch: Im Unterbau des Informationszeitalters zählen nur reale, physische Güter. Kommunikation macht nicht satt.
[nbo / 21. November 2002 ]
Wired: Argentina's New Wireless Problem

Droiden gegen Al Qaida

Nachrichten von der anderen Seite des Atlantiks sind zur Zeit meistens beunruhigend. Die Republikaner erobern das Capitol, die Kriegsvorbereitungen laufen, neue Ölförderprogramme in US-Naturschutzgebieten stehen bevor. Aber dann das: Ein großer Teil der Wissenschafts- und Ingenieursjobs in der US-Armee ist unbesetzt, in der US Air Force gar ein Fünftel! Geld und Ruhm locken anderswo, aber offenbar nicht in der Entwicklung besserer Tools für chirurgische Angriffe. Das lässt hoffen, dass die eingeleitete Militarisierung der US-Gesellschaft noch oberflächlich ist. Die nötige Forschung in der Wirtschaft dazuzukaufen, kostet die US-Armee etwa das Doppelte. Was fehlt, sind eigentlich Droiden, die in Star Wars zum selbstverständlichen Inventar gehören. Aber der Krieg ist der Vater aller Dinge: Vielleicht ist das die Geburtsstunde eines ungeahnten Booms in Künstlicher Intelligenz - weil sich die menschliche Intelligenz weigerte und lieber zivil lebte.
[nbo / 18. November 2002 ]
Wired: Tech Brain Drain Pains Military

Verschwörung im Weltall

Begonnen hat alles mit der Flagge. Flatterte sie im Mondlandungsfilm oder nicht? Auf dem atmosphärenlosen Mond darf nichts flattern, es sei denn, das ganze wäre in einem Studio entstanden und das Apollo-Programm ein Fake. Die Anhänger dieser Theorie werden immer mehr, weshalb die Nasa nun ein Buch über die Echtheit der Mondlandung (!) finanziert. Unglaublich, denn wir haben es hier mit einer wirklich blödsinnigen Verschwörungstheorie zu tun. Die angeblichen Beweise für eine Fälschung werden auf der lesenswerten Site von Mike Bara und Steve Troy (s.u.) jedenfalls sehr schön seziert. Anders als viele andere Verschwörungstheorien ist diese entscheidbar: Man kann einen Satelliten hinschicken und die Oberfläche fotografieren, bis auf wenige Meter genau (wie mit dem Mars bereits geschehen), was 2004 passieren soll. Dass das Weltraumteleskop Hubble nicht weiterhilft, liegt an seiner Auflösung, die nur das 10fache der Mondfährenreste erkennen kann. Oder hat die Nasa etwa...?
[nbo / 14. November 2002 ]
Who mourns for Apollo? or: What is only a paper moon?

Kennen Sie Berners-Lee?

Vision ist ein verbranntes Wort. Wie viele CEOs der Old und New Economy haben nicht damit um sich geworfen, wenn sie über das Internet sprachen? Garniert mit hohlen Phrasen wie "interaktiv", "multimedia" und "revenue stream", aber man wurde beim Zuhören das Gefühl nicht los, sie hätten so auch über einen milliardenschweren Hundezucht-Boom geredet. Was für ein Erlebnis, dann Tim Berners-Lee zuzuhören! Der Mann ist echt. Er hat wirklich eine Vision. Er vibriert vor Begeisterung, wenn er über sie spricht. Das semantische Web, das seine Erfindung des WWW vollenden soll. Mit fast kabarettistischen Stimmlagen, ausladenden Gesten und trockenem Humor redet er in einem atemberaubenden Tempo, ohne dabei abzuheben (zugegeben, seine Schuhe könnten besser sein). Nie für möglich gehalten. "The Web must be a universal space", ruft er aus und warnt vor Kontrollversuchen durch Big Business und Big Government. Und sitzt jetzt wahrscheinlich schon wieder an der Arbeit. Ein Lichtblick.
[nbo / 12. November 2002 ]

Verkrüppelte Zugänge

Ein Aufschrei ging durchs Internet. Online-Dienste meldeten heute, der italienische Provider Tiscali, hierzulande Nummer 3 in der Surfergunst, schränke die Bandbreite seiner DSL-Nutzer bei P2P-Anwendungen ein. Betroffen seien vor allem Musik-Tauschbörsen wie Kazaa oder eDonkey - Datenreisende könnten ihre Lieblingssongs nur noch im Schneckentempo tauschen. Offiziell hat Tiscali eine Sperrung dementiert, niedrigere Surf-Geschwindigkeiten aber bereits vor Tagen mit "dynamischer Bandbreiten-Regulierung" entschuldigt. Nachdem das Angebot einer gü nstigen 20-Euro-Flatrate (AOL verlangt 25, T-Online 30 Euro) einen Kundenansturm ausgelöst hätte, müsse man nun die Kapazitäten gerecht auf alle Dienste verteilen. Nachtigall, ick hör dir trapsen! Einerseits werden Ideen wie diese schon seit längerem von der Musikindustrie, die dem Volkssport Copyright-Verletzung nur zu gern ein Ende bereiten würde, lanciert. Andererseits wäre die Sperrung einzelner Dienste, sollte es sich doch um eine Schikane handeln, ein geeignetes Mittel, unwirtschaftliche Hardcore-User zu vertreiben. Akzeptabel sind verkrüppelte Flatrates so oder so nicht – es ist nicht Sacher der Provider, zu entscheiden, was ihre User im Netz treiben.
[jue / 6. November 2002 ]

Dada statt Google

Seit Jahren warten wir auf DAS neue Interface. Schluss mit Linklisten undkurzen Text-Teasern. Der Mensch, das augensaugende Wesen, erzählen unsExperten, wartet auf etwas Intuitives. Sehen und Verstehen. Neugierig geheich also zu kartoo.com, einer Suchmaschine, die ihre Ergebnisse als fiktiveLandkarte von Sites präsentiere, wie ich gehört habe. Gebe meinen Namen alsSuchbegriff ein, das habe ich – ach, Eitelkeit – bei Google schon öftergemacht. Ich weiss also, was rauskommen muss. Das Kartoo-Ergebnis ist,gelinde gesagt, nicht nachvollziehbar. Keine Ahnung, was ich mit dengefundenen Seiten zu tun haben soll. Es sieht zwar alles sehr ästhetischaus, ergibt aber überhaupt keinen Sinn. 10 Sites werden gefunden, die ichüberhaupt nicht kenne. Ich checke zwei, aber mein Name ist dortunauffindbar. Dada statt Google. Als Gesellschaftsspiel ist das nichtschlecht. Die New Economy tritt in ihre wahrhaft subtile Phase: Finden istso bourgeois, so zielgerichtet. Suchen und verwirrt sein ist das Gebot derStunde. Immerhin hat Kartoo den Zeitgeist getroffen.
[nbo / 5. November 2002 ]
Suchseite Kartoo.com

Ciao AOL!

"Ted is wounded and angry." Ted Turner hat die Schnauze voll von AOL. Und Steve Case will auch nicht mehr. Er würde den müden Riesen lieber frü her als später aus AOL Time Warner herauslö sen. Szenen einer Ehe, die weder aus Vernunft noch aus Liebe geschlossen wurde, sondern aus kapitalistischer Hybris. Doch jetzt kommt das "Schneller, höher, weiter" an sein Ende. Schuld sind angeblich die Dotcom-Lümmel, die noch nie etwas von Wirtschaft verstanden haben. Fü r das Netz könnte sich diese Abwendung der Old Economy vom Hype als Segen erweisen. Denn in dem Maße, wie die Wirtschaft sich wieder auf reale Produktion konzentriert und die e-Economy zum Informations- und Vertriebskanal "degradiert" wird, entstehen Freiräume für die alternativen Ökonomien und Communities des Netzes. AOL wird nicht dazu gehören: Es ist ein Fossil aus der Zeit vor dem Web. Das digitale Kambrium ist vorbei, Steve.
[nbo / 29. Oktober 2002 ]
Facing Criticism, Case Weighs Spinoff of AOL

Eine Datenbank läuft Amok

Die MIT Technology Review ist ein tolles Magazin. Ich bestell ein Probe-Digitalabo. Aber die propietäre Reader-Software läuft nicht unter Mac OS X. Ich funk den Support an, blase alles ab. Wenig später eine zweite Mail: "We have not yet received payment." Wie? Ich erkläre die Lage. Antwort: No Problem. 3 Wochen später: "Time is running out!" Dann folgen Drohungen. Was geht hier ab? Ich abonniere entnervt die Printausgabe. 1. Oktober: "You've left us no choice but to cancel your digital subscription...We hope you will take the correct action and remit your payment." Protestmail von mir und postwendende Entschuldigung folgen. Bald auch die erste Printausgabe im Briefkasten. Und dann gestern das: "Our policy mandates that your subscriber record be added to our permanent "delinquent" file." Die Datenbank läuft Amok. Sie erträgt mich nicht: den Kunden, diese unwürdige Kohlenstofflebensform. Da kommt was auf uns zu.
[nbo / 25. Oktober 2002 ]

Ciao Real!

Real Networks, noch Nr. 1 für Audio-Player und -Streaming, rutscht weiter in die Tiefe. Der Verlust hat sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (3. Quartal) fast verdoppelt. Entlassungen sind geplant, und der Code von Reals Programmen soll offengelegt werden (in der "Helix Community"). Deja Vu: "Netscape!" und "Mozilla!" klingelt es da in meinen Ohren. Das war abzusehen. Der Media Player kommt gebündelt mit Windows, Quicktime mit Mac OS. Als ich im Januar 2000 Rob Glaser fragte, ob ihn der Windows Media Player nicht beunruhige, verwies er nur auf seine Nutzerbasis von damals 90 Millionen. Zahlen! Das Problem ist, dass Media Player und Quicktime einfach besser sind. Und Real hat keine Plattform, mit der es sich untrennbar verbunden hat, wie Linux. Nicht mal zur Gnu Public License hat sich Glaser durchgerungen. Auch die Open-Source-Aktion gerät noch halbherzig. Ciao Real! Das Artensterben nach dem digitalen Kambrium geht weiter.
[nbo / 23. Oktober 2002 ]
Real Networks weitet Verluste aus

Googles Hammer

Ich hatte es schon gelesen. Heute habe ich es endlich mit eigenen Augen gesehen: Googles neue News-Seite. Soll ich lachen oder weinen: "This page was generated entirely by computer algorithms without human editors", steht am Fuß der Seite. Nachrichten aus 4000 Medien per Programm durchsucht, zu Themen gruppiert und nach Relevanz – welcher auch immer – sortiert. Journalismus im klassischen Sinne ist das nicht mehr, aber es treibt die Möglichkeiten des Nachrichtenmediums Internet zu seiner äußersten logischen Konsequenz: den medialen Stand der Dinge in seiner ganzen Breite sortierbar abzubilden und den User zum Schlussredakteur zu machen, der durch Klicks gemäß seinen Prioritäten seine persönliche "Zeitung" draus macht. Für Nachrichten-Junkies, denen die Meldung alles und die Marke des Mediums nichts ist, eine Offenbarung, für den klassischen Journalismus eine Kopfnuss. Die Krise der Zeitung ist in eine neue Phase getreten.
[nbo / 20. Oktober 2002 ]
Google News - unbedingt checken!

Ruhe sanft, Quam!

Nun ist es amtlich: Quam verschwindet von der Bildfläche. Selbst die mühsam und mit vielen Werbe-Millionen erkauften GSM-Kunden werden fallen gelassen. Unter der Vorwahl 0150 heißt es demnächstÊ "Kein Anschluss unter dieser Nummer!" Den Kunden wird freilich der Wechsel T-Mobile empfohlen. Dafü r erhält Quam von seinem Bonner Wettbewerber immerhin 50.000 Euro plus eine Prämie für jeden wechselwilligen Kunden - der wohl größte Eingangsposten, den das deutsche Joint Venture von Telef—nica undÊ Sonera jemals verbuchen durfte. Nur eines mutet auf den ersten Blick seltsam an: Das Unternehmen hält offiziell - wie übrigens auch der ins Straucheln geratene Konkurrent Mobilcom - an seiner Milliarden teuren UMTS-Lizenz fest. Auf den zweiten Blick jedoch sieht man klarer: Würden die beiden Firmen die Karten offen auf den Tisch legen und dem Milliardengrab UMTS eine öffentliche Absage erteilen, wäre ihre Lizenz im Handumdrehen wertlos. Dann aber müssten sie ihre komplette Investition sofort abschreiben – was nicht nur die Bilanzen kräftig verhageln würde, sondern zumindest auch Mobilcom Kopf und Kragen kosten könnte.
[jue / 15. Oktober 2002 ]
Leichenschau im Web: www.quam.de

Big Mama is watching you!

Was Mama nicht weiß, macht sie nicht heiß – dieser Ausspruch galt zumindest noch in meiner Jugend als universelles Credo. Künftige Teenager-Generationen werden allerdings von elterlicher Unwissenheit wohl nicht mehr in dem Maße profitieren. Zumindest, wenn das Kalkül der US-Firma Pomals aufgeht. Für rund 100 Euro will das Unternehmen GPS-Empfänger (Global Postioning System) auf den Markt bringen, die Eltern in die Handys oder Schultaschen ihres Nachwuchses einbauen können. Sobald dann auch nur der geringste Zweifel an dem Verbleib der Sprö sslinge besteht, lassen sich diese via Satellit orten. Ein Mausklick auf die Pomals-Webseite, die das Kind als Punkt auf einer Landkarte darstellt, genügt - der Seelenfrieden der Eltern ist wieder hergestellt. Allerdings nur solange, bis sie selbst Opfer einer GPS-Überwachung werden. Denn das Tool dürfte neben besorgten Vätern und Müttern bestimmt auch noch andere Zielgruppen interessieren. Eifersüchtige Liebhaber und misstrauische Arbeitgeber zum Beispiel. Fehlt nur noch, dass die nächste Geräte-Generation auch noch feststellen kann, was der Geortete gerade tut.
[jue / 12. Oktober 2002 ]
Pomals-Unternehmensseite

Händeschütteln gegen das Copyright

Ein Händedruck war bisher eigentlich immer eine freundliche, aber wenig funktionale Geste. Das wird jetzt anders. Wie heise online berichtet, hat der japanische Telefon-Riese NTT ein neues Datenübertragungsverfahren erfunden, das die Leitfähigkeit des menschlichen Köpers ausnutzt. Damit soll es PDA-Besitzern bald möglich sein, schon beim begrüßenden Händeschütteln automatisch Daten wie elektronische Visitenkarten austauschen. Spezielle PDA-Module wandelnÊ Bits und Bytes in schwache elektrische Signale um, die bei Körperkontakt mit einer Geschwindigkeit von bis zu 10 MBit pro Sekunde über die Haut übertragen werden. Welche eine Freude! Nach B2B- und P2P- gibt es jetzt endlich auch H2H (hand-to-hand)-Netzwerke. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Musik-Industrie auch massiv gegen Händeschüttler vorgeht – schließlich lassen sich bei den angepeilten Geschwindigkeiten problemlos ganze Lieblings-CDs mit nur einem feuchten Händedruck übertragen. [jue / 9. Oktober 2002 ]
heise online: Datenaustausch per Händedruck

Die Computerindustrie wird erwachsen

Ist das ein Akt der Verzweiflung oder ein besonders brutales Muskelspiel? Microsoft will Kunden unter den kleineren Unternehmen mit besonders günstigen Krediten zum Kauf von MS-Software helfen. Es ist sogar von null Prozent Zinsen die Rede. Das ist an sich nichts Neues. Autohersteller finanzieren potenziellen Kunden schon seit Jahren auf diese Weise den neuen Wagen. Und auch die Computerbranche nähert sich der Phase einer reifen Industrie. In der Logik des kapitalistischen Geldsystems ist diese Antwort auf eine drohende Marktsättigung richtig: Geldknappheit darf nicht die Konsumfähigkeit ankratzen. Also muss eine Infusion her. De facto bedeutet es aber, eine Nachfrage, die so nicht vorhanden ist, zu erzeugen. Das System versucht, sich wie Münchhausen an seinem eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Möglich ist das aber nur in fast-monopolistischen Industrien. Mit Marktwirtschaft hat das nichts mehr zu tun.
[nbo / 8. Oktober 2002 ]

Kafka-Surfer

"Internet-Verbindung - Die Anmeldung ist fehlgeschlagen." So wird eine persönliche Katastrophe der Gegenwart annonciert. Das Tor ist geschlossen, das Klopfen verhallt. Und der Symbolbearbeiter des 21. Jahrhunderts ist ohne die Fütterung mit den Symbolen, die er sich hinter dem Tor reinschlingen muss, ein Nichts. Gestrandet in der alten Welt, die ihn schon lange nicht mehr ernähren kann, weil nicht viele Menschen nötig sind, um die belebte und unbelebte Materie für die Bedürfnisse von Millionen aufzubereiten. Der Symbolbearbeiter zieht alle Kabel ab, checkt das DSL-Modem, den Pots-Splitter, macht einen Neustart, weil er nicht weiß, wieso das Tor zugeschlagen wurde. Er wird nicht darüber informiert. Wie in Kafkas Gleichnis vom Türhüter. Der Mann, der Einlass begehrte, erfuhr nie, warum er nicht rein durfte. Kafka hat die Traurigkeit des Cyberspace vorweggenommen. Wir dürfen sie erleiden. (PS: Nach 1 Stunde in der überlasteten Hotline entpuppte sich das ganze als T-Online-Ausfall in Hamburg)
[nbo / 3. Oktober 2002 ]

Wo sind die Visionen hin?

Die letzte Woche war die Woche des UMTS. Zugegeben, mit Mobilcom hat nach Quam faktisch der zweite von sechs deutschen Konzernen mit Lizenz das Handtuch geschmissen. Abgesehen davon gab es aber Positiv-Meldungen. Nokia etwa hat in Helsinki sein erstes UMTS-Handy vorgestellt. Und Mobilkom (mit k!) hat in Österreich das nach eigenen Worten "erste UMTS-Netz Europas" eingeschaltet. (Das seit einem Jahr funkende mmo2-Netz auf der Isle of Man haben die PR-Strategen offensichtlich übersehen) Eiderdaus! Haben wir jetzt also endlich den lang versprochenen Turbo für die Datenautobahn? Nix da, das erste UMTS-Handy von Nokia enttäuscht. Gerade einmal 128 Kilobit pro Sekunde beim Runterladen bringt das 6650 auf's Tacho. Wo sind die versprochenen Megabit-Raten? Und mit knapp 150 Gramm Gewicht liegt der Kommunikationsklumpen wie ein Stein die Tasche. Nein, das hat nichts gemein mit den verbreiteten Visionen der leichten, schnellen, flachen Alleskönner. Bis es die endlich gibt, wird wohl noch der eine oder andere europäische UMTS-Konzern die Flinte ins Korn werfen.
[jue / 30. September 2002 ]
Nokia 6650: "neue Maßstäbe in der Kommunikation"

Scientific Bad Guy?

Ein Stern am Himmel der Wissenschaft ist verglüht. Der Physiker Jan Hendrik Schön wurde von den Bell Labs wegen gefälschter Messkurven gefeuert. Wieso macht einer das? In zwei Jahren war er Autor oder Co-Autor von 80 Papern. Ein Paper alle 10 Tage. So viel entdeckt niemand. Es geht ja auch lä ngst um strategisches Publizieren: häppchenweise und häufig. Das treibt die Zitatquote hoch und bringt Forschungsgelder. Ein enormer Druck. Doch die fehlende Unvoreingenommenheit hat eine tiefere Dimension. Jede große Theorie einer Disziplin steckt eine Landkarte des Entdeckbaren ab. Das größte Prestige in der Scientific Community bekommt der Pionier, der die Grenze weit hinausschiebt, nicht der, dessen Experimente alles in Frage stellen. "Falsche" Messergebnis werden so zum Ausweis der Unzulänglichkeit eines Forschers, nicht aber der Theorie. Ein viel subtilerer Druck, der im Studium beginnt. Und die Wissenschaft an der Wurzel vergiftet.
[nbo / 27. September 2002 ]
Bell Labs announces results of inquiry into research misconduct

Jenseits aller Medienbrüche

Heute nachmittag neue Tablet PCs gesichtet. Mit Handschriftenerkennung. Wir können also den Monitor als Kladde benutzen. Kein Medienbruch = Zeitersparnis, argumentiert Microsoft. Alles muss schneller gehen, vom Kopf durch die Hände ins Medium in die Zirkulation. Warum eigentlich? Weil es um einen gewaltigen Traum geht, der langsam zum Vorschein kommt: Wir wollen Ideen in Echtzeit materialisieren können. Gedanken SOFORT in Bilder, Texte, über computergesteuerte Prozesse sogar in Aktionen umsetzen. Wir wollen am Ende alle Interfaces zwischen Gehirn und Prozessen in der Technosphäre ausschalten. Telekinese. Was werden wir in 50 Jahren über die Handschriftenerkennung lachen, wenn uns Drähte zur Rechner-Steuerung aus dem Kopf baumeln. Matrix live. Und selbst dann werden wir noch überlegen, wo man noch Zeit einsparen kann. Dann müssen wir schneller denken lernen.
[nbo / 25. September 2002 ]
Microsoft: A New Interaction with Your PC
ct 6/99: Mit Gedanken einen Computer steuern

Democracy powered by Microsoft

Der Wahlabend. Hochrechnung folgt auf Hochrechnung. Doch nicht nur das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Schröder und Stoiber ist erstaunlich. Auch das, was unten links auf dem ARD-Bildschirm unter den Balken der Partei-Prozente flimmert. ".net Microsoft". Sieh mal einer an. Obwohl an den Hochrechnungen nichts, aber auch gar nichts anders ist als bei den Wahlen vorher, die Ergebnisse auch nicht schneller eintrudeln, die Balken nicht mehr oder weniger Pixel haben, das Logo des Quasimonopolisten ist offenbar unverzichtbar. Ist das die Gegenoffensive nach dieser unbotmäßigen Debatte im Bundestag, ob nicht besser Linux auf den Rechnern des Parlaments laufen soll? Müssen wir uns Sorgen machen, gar eine neue Verschwörungstheorie ausdenken? Ja, wir sollten uns Sorgen machen. Ausgerechnet das öffentlich-rechtliche Fernsehen entblödet sich nicht, eine demokratische Wahl durch das Branding eines fragwürdigen Konzerns herabzuwürdigen. Die Vereinnahmung der Politik durch die Ö konomie hat eine neue Stufe erreicht: die der demokratischen Symbolik.
[nbo / 23. September 2002 ]

Wem gehört die Bandbreite?

Ja, es gibt sie noch die Wildnis. Ausgerechnet im Cyberspace. Auf digitalen Weidegründen lassen Datennomaden drahtlos ihre Rechner grasen. Markieren die besten Stellen mit Kreide an Hauswänden. Warchalking nennt man das. Nokia nennt es Diebstahl. Das Einloggen und Mitsurfen in Wireless-Netzwerken stehle Bandbreite. Eine heftige Debatte tobt nun: Kann man so etwas Abstraktes klauen? Kann Bandbreite Eigentum sein? In der Logik des Online-Kapitalismus ja: Bandbreite ist ein Produktionsmittel. Das ist, als ob man sich aus einer Schreinerei einfach für ein paar Stunden eine Säge nimmt, aus einem Fuhrpark einen Laster. Die Warchalker spielen gerade die gesamten Marxschen Fragen für die Digitalsphäre durch: Sie sind Kommunisten im Sinne des 19. Jahrhunderts. Die Antwort werden Mauern aus Kryptographie oder Verfolgung durch die Staatsgewalt sein. Die Warchalker werden nicht durchkommen. Sie müssen selbst Bandbreiten-Genossenschaften bilden.
[nbo / 20. September 2002 ]
BBC: Wireless hitchhikers branded as thieves

Von Kühen und Menschen

Am Anfang war die grenzenlose Wildnis. Der Mensch durchschnitt sie mit Zäunen und Mauern, um Identität herzustellen und Besitz zu sichern. Ein sehr plumpes Vorgehen. Die neue Technosphäre wird von einer eleganteren Brutalität sein: Wir können den Anschein von Naturbelassenheit, von Leere erwecken und doch alle Claims abgesteckt haben. Wer dann nicht sehen kann, muss fühlen. So wie die Kühe, die von unsichtbaren elektrischen Zä unen des französischen Agrarforschungszentrums Cemagref eingepfercht werden. Betreten sie die Warnzone, bis zu 1,50 m vom Draht entfernt, löst das elektrische Feld des vergrabenen Drahtes in einem Chip, den die Kuh um den Hals trägt, ein Warnsignal aus. Überschreitet sie den Draht, setzt es einen Stromstoß. Die Alp bleibt fotogen, die blöde Kuh bleibt stehen. Welch ein Modell für die Metropolen dieser Welt! Der ver-chipte Mob bleibt außen vor, während die Devisenbringer die Sehenswürdigkeiten filmen.
[nbo / 18. September 2002 ]

Angriff auf Apache-Land

Wenn das Gruseln vor Chinas Netzzensur (s. 14.9.) zu billig ist, gilt gleiches auch für die Schadenfreude über Microsofts Virenanfälligkeit. Die Attacken erreichen jetzt das Goodwill-Territorium der digitalen Welt: die Linux-Community. Der Wurm Slapper infiziert auf Linux basierende Apache-Server, die etwa 60 % aller Webserver ausmachen. Zur Stunde, nach 3 Tagen, sind es 14.000 Server, was sogar die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Code Red aus dem letzten Jahr übertrifft. Slapper hat offensichtlich die Funktion, ein P2P-Netzwerk aufzubauen (vergleichbarÊ Musiktauschbörsen), um dann von den beteiligten Servern eine massive Denial-of-Service-Attacke fahren zu können. Ist es nur eine Machtdemonstration von Microsoft-Schergen? Klar ist, dass es Leute gibt, die das Netz zur Strecke bringen wollen - egal aus welcher Ideologie heraus. Slapper ist eine Warnung, dass sie es tatsächlich irgendwann versuchen könnten. Es gibt keine Zufluchtsorte im Netz.
[nbo / 16. September 2002 ]
Global Slapper Worm Information Center

China ist überall

China ist das Land, das uns noch richtig gruseln lässt: Dort gibt es unheimliches Wirtschaftswachstum und unheimliche Repression simultan. Tatsächlich hat die chinesische Regierung im Cyberwar gegen ihre eigenen Bürger eine neue Offensive eingeleitet. Nicht nur wird seit kurzem Google blockiert. Inzwischen werden auch die Online-Zugänge der User zum Absturz gebracht, die Google aufrufen wollen. Die IP-Verbindung wird für 5 Minuten unterbrochen. Doch das Gruseln vor der chinesischen Netzzensur ist zu billig. Klar, wo es nur staatliche Provider gibt, lässt sich der Hahn leicht zudrehen. Aber auch im Westen arbeiten politische Kräfte längst daran, Provider zu ihren Handlangern zu degradieren - im Kampf gegen Terroristen oder Datenpiraten. Natürlich auf juristisch einwandfreiem Wege. Wenn diese Politik nicht Thema einer neuen Bü rgerbewegung wird, werden wir uns eines Tages einloggen und feststellen, dass China überall ist.
[nbo / 14. September 2002 ]
New Scientist: Google keywords knock Chinese surfers offline

Der kalte Krieg ums Copyright: Kampf oder Entspannungspolitik

Endlich klare Worte: Digital-Rights-Management-Technik kann das Copy&Download-Problem im Netz nicht lösen, weil sie nicht funktioniert. So kann man ein Ergebnis der neuen Studie des Deutschen Multimedia-Verbandes zum Stachel im Fleisch von Musik- und Software-Industrie zusammenfassen. Wie dann? Ganz in der Stimmung des 9-11-Jahrestages empfehlen die Autoren a) juristische Daumenschrauben: konsequente Umsetzung der Cybercrime-Konvention 2001 - also letztlich Kriminalisierung aller, die Dateien kopieren und in Netzwerken tauschen, und b) Überwachung: Provider sollen gezwungen werden können, "Copyright-Verletzer" in ihrem Subnetz zu melden. "Mit der Bagatellisierung von Piraterievergehen muss endlich Schluss sein", droht dmmv-Vize Felsenberg. Ist ein Copyright-War unvermeidlich? Nicht ganz: Die Studie hält die Option einer Pauschalabgabe auf Datengüter, eine Art "Netz-Gema-Gebühr" für User, offen. Nur das wird einer Ökonomie fürs 21. Jh. gerecht.
[nbo / 12. September 2002 ]
Die Studie: Medienverbände fordern effektiven Schutz digitaler Inhalte

Wege ins Kommunikationsproletariat

Der Krieg hat soziale Hierarchien oft aufgebrochen, manchmal eingeebnet. Die Underdogs kämpften an der Front, räumten Ruinen im Hinterland oder hielten den Alltag aufrecht. Im neuen "War on Terrorism" – ohne Front und Massenmobilisierung – dürfte sich dagegen eine Spaltung vertiefen: die zwischen Kommunikationselite und -proletariat. In Washington und New York wird, so berichtet "Wired" in seiner September-Ausgabe, ein Wireless Priority Service (WPS) im Mobilfunk getestet, der Anrufen ausgewählter VIPs auf speziell eingerichteten Motorola P280 Vorrang einräumt. Wir erinnern uns: Am 11.9.2001 brachen dort die Mobilfunknetze zusammen, weil jeder spontan zum Handy griff. Der Unterschied des WPS zur bereits existierenden Festnetz-Analogie GETS ist: Der Ruf eines VIPs kommt immer durch, auch wenn es nur um eine Pizzabestellung geht. Fehlt nur noch, dass Provider und Backbone-Carrier demnächst genötigt werden, die Datenpakete dieser Leute zu bevorzugen. So ermöglicht der neue Krieg den Mächtigen, die "Parvenüs" der Internet-Revolution zurechtzustutzen.
[nbo / 9. September 2002 ]

Spielen wir Grüner Peter!

Seit Wackersdorf-Tagen war keine Technologie mehr so umstritten wie die Grüne Gentechnik. Also musste ein runder Tisch her, das lieben die Deutschen. Aber ohne Bürgerbeteiligung, weil das alles verkompliziert. Der Abschlussbericht des "Diskurses Grüne Gentechnik" dokumentiert dementsprechend Stagnation. 30 Gruppen haben noch einmal ihre Positionen dargelegt. Und, Überraschung! schon geht der Streit los. Die Pro-Fraktion habe nur Akzeptanz durchdrücken wollen, um eine Freigabe der Technologie für den Markt zu beschleunigen, sagen Kritiker. Diesen habe das Interesse an den Mühen der Konsensbildung gefehlt, da Kampagnen wie die "Wanderbanane" des BUND ihnen derzeit leichter Punkte in der Öffentlichkeit brächten, maulen Befürworter. Wichtiger wäre eine breite gesellschaftliche Debatte gewesen, die nachvollziehbare Nutzungsszenarien und damit eine demokratische Entscheidungsgrundlage erarbeitet. Ihr Fehlen wird sich noch rächen.
[nbo / 4. September 2002 ]
Infos und Abschlussbericht zum Diskurs Grüne Gentechnik
Die Zeit: Schön, dass wir geredet haben (nbo)

Dialog mit einer gottesfürchtigen Maschine

Maschine: "Guten Morgen bei der Deutschen Bank 24. Bitte geben Sie Ihre 3-stellige Filialnummer ein. Sie können alle Eingaben wahlweise über ihre Telefontastatur oder über Spracheingabe machen." / Ich: "600" / Maschine: "Bitte geben Sie jetzt Ihre 7-stellige Kundennummer ein!" / Ich: "1234567" / Maschine: "Bitte geben Sie jetzt Ihre 5-stellige Telefon-PIN ein." / Ich: "12345" / Maschine: "Bitte beachten Sie, der Sprachcomputer wurde für sie optimiert. Nutzen Sie ab sofort die bequeme Möglichkeit, uns ihre Wünsche mündlich mitzuteilen. Ein Stichwort genügt!" / Ich: "Ich möchte mich gerne beraten lassen." / Maschine: "Sie wünschen Informationen zu EC-Karten?" / Ich: "Nein." / Maschine: "Bitte antworten Sie mit Ja oder Nein." / Ich: "Nein." / Maschine: "Was können wir für Sie tun?" / Ich: "pesönliche Beratung." / Maschine: "Sie haben Fragen zum Finanzstatus ihres Depots?" / Ich: "Nein." / Maschine: "Bitte wiederholen Sie Ihre Eingabe!" / Ich: "Nein, in Gottes Namen." Maschine: "Vielen Dank, wir verbinden Sie jetzt mit einem Mitarbeiter."
[jue / 1. September 2002 ]
Besser: Online-Banking auf der Internet-Seite der Deutschen Bank 24

Palm-Kunden sehen rot

Amerikanischen Besitzern von Palm m130-Handhelds ist jetzt der Kragen geplatzt: Sie wollen in den USA Sammelklage einreichen, meldet heise online. Damit machen sie ihrer Wut über die wissentliche Falsch-Werbung des PDA-Marktführers Luft. Dieser hatte in ganzseitigen Anzeigen damit geprahlt, das Display seines jüngsten Sprösslings könne satte 65.536 Farben darstellen. Die Fachwelt war begeistert, hatte es doch endlich ein Hersteller geschafft, einen Mini-Computer mit brillantem Farbdisplay für unter 400 Dollar auf den Markt zu bringen. Doch das Werbeversprechen entpuppte sich als dreiste Lüge. Der m130 kann exakt 4.096 Farben anzeigen und streckt diese mit Software-Tricks auf gerade einmal 58.621 Farbkombinationen. Das gab Palm letzte Woche zwar kleinlaut zu, schloss aber aus, die falsch beworbenen Geräte auszutauschen. Die Quittung kommt jetzt – ein Verfahren, das den ohnehin angeschlagenen Konzern Kopf und Kragen kosten könnte. Bleibt zu hoffen, dass die Palm-User Erfolg haben - denn sonst drohen Computer-Käufern künftig sicherlich noch mehr vermeintliche Super-Rechner.
[jue / 28. August 2002 ]
heise online: US-Sammelklage gegen Palm

Neue Startaufstellung im UMTS-Rennen

Die EU-Kommission will eine UMTS-Kooperation zwischen T-Mobile und O2 genehmigen, meldet die Financial Times Deutschland. Die beiden Konzerne hatten schon vor etwa einem Jahr beschlossen, die Infrastruktur ihrer UMTS-Netze gemeinsam zu nutzen. Bislang stand die Partnerschaft allerdings nur auf dem Papier – und eine Zustimmung der EU auf der Kippe. Wenn beide Konzerne jetzt tatsä chlich auf dem britischen und dem deutschen Markt zusammenarbeiten und damit etwa drei Milliarden Euro der veranschlagten UMTS-Ausbau-Kosten sparen dürfen, ist das der erste Lichtblick für die Schulden gebeutelte Branche seit langem. Allerdings verändert sich dadurch auch die Startaufstellung für den Mobilfunk-Markt von morgen: Die Pole-Position hat nicht mehr unbedingt, wer das dickste Marketing-Budget oder das erste Netz hat, sondern wer die größte Mobilfunk-Allianz schmieden kann. Vodafone, France Telecom & Co sollten sich also sputen und schleunigst potente Partner für das europäische Mobilfunk-Rennen finden. [jue / 26. August 2002 ]
FTD: T-Mobile darf UMTS mit O2 aufbauen

Die Korruptionsgleichung

Mit der Realität tuen sich Wissenschaftler seit Jahrhunderten schwer. Die wird deshalb gerne zu eleganten Gleichungen vereinfacht. So leicht wollte es sich Richard Damania von der University of Adelaide nicht machen und berücksichtigte in seiner Untersuchung der Wirksamkeit von Umweltabgaben explizit den Effekt der Korruption. These: Wer die Umwelt stärker verschmutzt, ist wirtschaftlich potent genug, um sich von Abgabenlasten "frei zu kaufen". Diese Anreizstruktur berücksichtigt Damanias Rechnung nun. Ergebnis: Wer viel verschmutzt, sollte weniger zahlen müssen - sonst wird er mittels Bestechung seine Emissionen schönen. Korruption wird also als "Naturgesetz" in ein Gleichungssystem eingesetzt. Der absurde Drang der Ökonomen, ihre Wissenschaft nach dem Vorbild der Physik zu formulieren, läuft vollends Amok: In WIRKLICHKEIT wird hier nur vor der normativen Kraft des faktischen Kapitalismus kapituliert. Aber wetten, dass dieses Argument in den Umweltdebatten nach Johannesburg auftaucht?
[nbo / 24. August 2002 ]
New Scientist: Heavy environmental polluters 'should pay less'

Kampf dem Kunden

Wenn die Wirtschaft lahmt, verlieren die Konzerne schon mal die Nerven: Die Lufthansa etwa droht, Miles&More-Kunden, die ihre Meilen bei eBay versteigern, sofort die Meilenkonten zu schließen; Musiklabels heuern Leute an, die aus Endlosschleifen falsche MP3-Dateien bauen und in Tauschbörsen einschleusen. "Wir sind bisher sehr großzügig zu unseren Kunden gewesen", sagt RIAA-Chefin Hilary Rosen zu dieser "Verteidigung" des Copyrights. Will heißen: Wir ertragen unsere Kunden nicht mehr. Denn die meisten der User, die Musik runterladen, sind ja doch CD-Käufer. Intelligente, netzaffine Konsumenten werden plötzlich von der Traumzielgruppe zu Halbkriminellen. Der digitale Fortschritt ein Alptraum der Konzerne? Wenn er Arbeitsplätze wegzurationalisieren hilft, wird den Joblosen geraten, sie sollten ihr "Produkt Arbeitskraft" flexibel und kreativ neu gestalten. Recht so: Sollen Konzerne bessere Produkte machen, anstatt einen Kleinkrieg gegen ihre Kunden anzuzetteln. Würden Arbeitslose sich so rüde wehren, kämen sie in den Knast.
[nbo / 21. August 2002 ]
Lufthansa will gegen Miles-Auktionen im Web durchgreifen

New Yorker Erziehungsmaßnahmen

Dass moderne Technologien nicht nur Bequemlichkeit, sondern auch schlechte Manieren forcieren, ist spätestens klar, seitdem Handys den öffentlichen Raum erobert haben. In Cafes und Bibliotheken klingeln und nerven sie. Kein Wunder, dass in New York ein Verbot diskutiert wird, wie wired.com heute meldet. Ein Stadt-Abgeordneter will für Handy-Telefonate im öffentlichen Raum sogar 50 Dollar Strafe kassieren – und die mobilen Massen auf diese Weise zur Raison bringen. Für die UMTS-Industrie in Europa ist zu hoffen, dass das Beispiel nicht auch hier Schule macht. Denn Handy-Verbote in der Öffentlichkeit vertragen sich nicht mit den Immer-und-Überall-im-Netz-Visionen, die bald Milliarden in ihre Kassen spülen sollen. Nach den heftigen Protesten gegen Mobilfunk-Masten wäre eine Erziehungsmaßnahme à la New York ein kostenspieliger Rückschlag. e / 19. August 2002 ]
wired.com: Hush Hush Hooray, Says NYC